Neuer Blick auf Nordkorea: „Meine Brüder und Schwestern im Norden“
Kundschafter Filmproduktion GmbH
Nordkorea nimmt unter den skurrilen Diktaturen dieser Welt zweifelsohne einen Spitzenplatz ein. Schriller Militarismus und Nationalismus paaren sich mit einem Schönheitskult der besonderen Art. Jenseits dieser Fassade haben die Menschen Mühe, zu überleben, wenngleich nur wenig darüber ins Ausland dringt. Doch wie sieht der Alltag wirklich aus? Sind die Nordkoreaner so fanatisch, wie sie im Staatsfernsehen inszeniert werden?
Regisseurin Sung-Hyung Cho trib die Sehnsucht nach Nordkorea
Die Filmemacherin Sung-Hyung Cho hat sich bemüht, mehr von dem Land zu zeigen, dessen kommunistische Führung den USA und Japan regelmäßig mit Atomschlägen droht. Dazu nutzt die Regisseurin eine Spielart des Heimatfilms. Nicht zuletzt die Sehnsucht trieb sie dazu, vier Wochen lang Nordkoreaner verschiedenster beruflicher Welten und Altersklassen vor der Kamera zu befragen. Als gebürtige Südkoreanerin wollte sie endlich jene Menschen treffen, die ihr zu Schulzeiten als monsterartige Todfeinde verkauft worden sind.
Mit ihrer damaligen Staatsangehörigkeit war eine Reise zum nördlichen Nachbarn allerdings strengstens verboten. Also nahm die 1966 geborene Regisseurin, die seit 1990 in der Bundesrepublik lebt, die deutsche an. Für sie ist „Meine Brüder und Schwestern im Norden“ ein Weg, für die Wiedervereinigung der beiden Koreas einzutreten und die gemeinsamen Traditionen der Bevölkerung beiderseits des 38. Breitengrads zu betonen – so befremdlich bis naiv das von außen betrachtet auch anmuten mag. Es ist auch eine Suche nach den eigenen Wurzeln.
Nordkorea: Wunsch nach Wiedervereinigung
Dass viele Nordkoreaner den Wunsch nach Wiedervereinigung teilen – und zwar aus ganz verschiedenen, durchaus persönlichen Gründen – , ist eine der erhellenden Erkenntnisse dieses Films. Auch darüber hinaus bietet Sung interessante Einblicke. Etwa in die Landwirtschaft, von der es immer wieder heißt, sie stehe kurz vorm Kollaps. Bilder von dort waren bislang rar. Nun ist zu sehen, was sich hinter der angeblichen „Ernteschlacht“ verbirgt. Die Felder des Vorzeige-Agrarkollektivs reichen bis zum Horizont, doch zwischen den Halmen zieht nur eine einsame, kleine Erntemaschine ihre Reihen. Ein leitender, unerwartet locker auftretender Mitarbeiter weiß das Geschehen korrekt einzuordnen.
Auch in dieser Szene offenbart sich, dass Sungs Gesprächspartner ihr einiges Vertrauen schenkten. Selbst wenn sie vom Regime vorsortiert wurden und ihre Äußerungen im ideologisch korrekten Rahmen bleiben, reden sie nicht zwangsläufig schablonenhaft und geben mitunter durchaus Persönliches und Überraschendes preis. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass die Aufpasser des Regimes einige Male abgeschüttelt werden konnten. Aber auch Sungs Herkunft hat einige mentale Türen geöffnet. Häufig herrscht, etwa im Vergleich mit der Dokumentation „Im Strahl der Sonne“ des russich-ukrainischen Regisseurs Vitaly Mansky, eine unerwartet unverkrampfte Atmosphäre. So schildert die Managerin einer Textilfabrik im Plauderton, wie deren Exportwaren ihren Weg bis zum Todfeind USA finden. Hinzu kommt Sungs unbekümmerter Umgang mit den Gesprächspartnern, der schon in der Dokumentation „Full Metal Village“ einige Aha-Effekte ermöglichte.
Loblied auf Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un
Andererseits offenbart sich auch immer wieder der Irrsinn, den mehr als 60 Jahre Gewaltherrschaft und Personenkult hinterlassen haben. Zum Beispiel, wenn Kitakinder ungefragt Loblieder auf Staatschef Kim Jong-un anstimmen. Oder wenn ein Mitarbeiter eines Spaßbads in der Hauptstadt Pjöngjang berichtet, wie sich der „geliebte Marschall“ höchstpersönlich um den Bau der Anlage gekümmert habe. Ohne Frage steht das Bad mit all den lustigen Rutschen und Spielgeräten für ein denkbar freundliches Gesicht der „Militär-zuerst-Politik“, die ab und zu ein paar prestigeträchtige Almosen an das Volk verteilt.
Wie lange kann dieses System noch am Leben erhalten werden? Bei aller Freundlichkeit vor der Kamera: Nicht nur, was diese Frage betrifft, hinterlassen die Interviews letztendlich einen gespenstischen Eindruck.
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