Kultur

Neue Deutsche

von Thilo Scholle · 7. Januar 2013

In den Debatten um ”Integration” driften die Wahrnehmungen immer stärker auseinander: Während für einige die Vielfalt an Herkünften Teil der eigenen Lebensrealität geworden ist, debattieren andere die Frage, ob ”der Islam” überhaupt zu Deutschland gehören könne – und was dann noch ”deutsch” sei. Zwei aktuelle Bücher widmen sich diesen Fragen.

Sich als Deutsche oder Deutscher zu fühlen, auch wenn die Eltern aus anderen Ländern kommen, ist für viele selbstverständlich. Gerade deshalb ist es kränkend, wenn das Umfeld diese Selbstverständlichkeit  infrage stellt, wenn sie immer neu erklärt und begründet werden muss. ”Wir neuen Deutschen – Wer wir sind, was wir wollen” und ”Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!” machen deutlich, dass nicht ”das Leben zwischen zwei Welten” den Alltag schwer macht, sondern die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz dafür, dass es möglich ist.

Identitäten jenseits von Herkunft

Die Zeit-Journalistinnen Özlem Topçu, Alice Bota und Khuê Pham beschreiben in ihrem Buch ”Wir neuen Deutschen – Wer wir sind, was wir wollen” wie sie in Deutschland aufwuchsen und hier ihre Identitäten entwickelten. In gemeinsam verfassten Passagen unterstreichen sie das Verbindende ihrer sehr unterschiedlicher Migrationsbiografien – die Eltern der Autorinnen stammen aus der Türkei, Polen und Vietnam. Andere Abschnitte haben die Autorinnen jeweils allein verfasst. 

Neben den Unterschieden in den kulturellen Prägungen der Eltern wird hier auch die unterschiedliche soziale Lage der Familien eingeordnet – während Özlem Topçu aus einem Arbeiterhaushalt stammt, arbeiten die Eltern von Khuê Pham als Ärzte. Ein zentrales Motiv über die unterschiedlichen Biografien hinweg ist die Frustration darüber, dass diese Lebensläufe – die beispielhaft für viele Tausend junger Menschen in Deutschland stehen – immer noch nicht als Teil der “deutschen” Lebensrealitäten anerkannt werden.

In eine ähnliche Richtung gehen die Beiträge in dem von Nicol Ljubić herausgegebenen Sammelband ”Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!”. Bereits mit der Wahl des Titels hält der Herausgeber dem u.a. von Bundesfamilienministerin Schröder ins Spiel gebrachten Begriff der “Deutschenfeindlichkeit” kritisch den Spiegel vor. 

In diesem Band schreiben ebenfalls Menschen, die nicht auf einen bestimmten ”Hintergrund” reduziert werden wollen. So beschreibt die in Deutschland aufgewachsene Schriftstellerin Zsuzsa Bánk wie es sich anfühlt, wenn Rezensenten aus ihrem literarischen Werk die Kultur des Herkunftslandes der Eltern zu lesen meinen. 

”Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!” ist ein sehr eindrückliches Plädoyer dafür, jeden Menschen zu nehmen wie er ist, und damit aufzuhören, Identitäten an ethnische Herkünfte zu binden. Die Autorinnen und Autoren sind schriftstellerisch oder journalistisch aktiv. Das Buch zeigt, wie sehr ihnen Deutschland und vor allem die deutsche Sprache Heimat sind.

Beide Bände erheben nicht den Anspruch, diese Erfahrungen in einen gesellschaftlichen Kontext einzubetten, um daraus auch politische Schlussfolgerungen und Forderungen abzuleiten. Das ist in gewisser Weise zu bedauern. Doch sind sie gut und pointiert geschrieben. Die Autorinnen und Autoren machen mit ihrer Biografie und ihren Texten deutlich, wie selbstverständlich und spannend eine ”neue” deutsche Identität ist – und wie absurd zugleich Versuche sind, eine einzige Identität Deutsch und als Maßstab aller Dinge zu definieren.

Özlem Topçu/Alice Bota/Khuê Pham: "Wir neuen Deutschen. Wer wird sind, was wir wollen", Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2012, 176 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-644-02211-9

Nicol Ljubić (Hrsg.): "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit. Geschichten aus der Heimat", Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012, 207 Seiten, 17,99 Euro, ISBN978-3-455-50246-6

Autor*in
Thilo Scholle

ist Jurist und u.a. Mitglied im Bundesparteirat der SPD.

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