Neue Ausstellung: Was Karl Marx wirklich vom Kapitalismus hielt
Was haben eine Dampfmaschine, ein Zigarettenetui, das Präparat eines Humboldt-Pinguins, das Gemälde „Die schlesischen Weber“ von Carl Wilhelm Hübner, die erste Ausgabe des „Manifestes der Kommunistischen Partei“ und eine Taschenuhr anlässlich der Proklamierung des Achtstundentags miteinander zu tun? All diese Objekte sind Teil der Ausstellung „Karl Marx und der Kapitalismus“, die ab dem 10. Februar im Deutschen Historischen Museum (DHM) zu besichtigen ist.
Ausgangspunkt: Umbrüche im 19. Jahrhundert
In einem offen gestalteten Raum erwartet die Besucher*innen eine Fülle von Exponaten – handschriftliche Manuskripte, Audiocollagen, Plakate, Fotografien – verteilt auf sieben Themenbereiche, die jeweils in einer Art Insel repräsentiert werden. Eine chronologische Reihenfolge fehlt, doch stehen alle Themen miteinander in Verbindung. So werden in zwei interaktiven Stationen beim Thema „Ökonomie und Krise“ die Konzepte über den Mehrwert und den Zwang zur Akkumulation des Kapitals erklärt, wie Marx sie in seinem Werk „Das Kapital“ entwickelte. Für Marx wichtige Analysen, um die immanente Logik des Kapitals und des Profits zu verstehen, die ihm zufolge nicht nur die Wirtschaftsordnung bestimmen, sondern auch die Organisation der Gesellschaft.
Hinzu kommen eine künstlerische Geruchs- und eine Lärminstallation (Industrielärm). Für Kuratorin Sabine Kritter veranschaulicht all dies „die Wucht und Ambivalenz des technischen und sozialen Wandels im 19 Jahrhundert“, sagt sie bei der Ausstellungseröffnung in Berlin. Genau diese gewaltigen ökonomischen und sozialen Umbrüche der Industrialisierung sind es, die der Philosoph und politische Aktivist Karl Marx (1818-1883) zu analysieren versuchte.
Karl Marx: Ideen und Wirken
Die Ausstellung wirft einen historisierenden Blick auf Marx, auf seine Ideen und sein Wirken. Sie zeigt, was Marx bewegte, worauf er reagierte, zeigt, dass Marx „facettenreicher und widersprüchlicher war als das, was in den Marxismen des 20. Jahrhunderts aus ihm gemacht wurde“, betont Kritter. So handelt das Thema „Kämpfe und Bewegungen“ vom Erstarken der Arbeiterbewegung und der Diskussion um die Frauenfrage, Debatten, in denen sich Marx seinerzeit einbrachte. Als Mitbegründer europaweiter Netzwerke verschiedener Arbeiter- und Reformgruppen der ersten Internationalen Arbeiterassoziation war Marx europäischer als er weithin wahrgenommen werde, erklärt Historiker Jürgen Herres, wissenschaftlicher Berater der Ausstellung. Jeden Dienstagsabend nahm Marx an den Beratungen des Generalrats teil. „Ein Marx, der in Deutschland weitgehend unbekannt ist, aber wesentlich dazu beitrug, dass sich in Europa eine sozialdemokratische Sprache und auch Praxis entwickelt hat.“
Für Kritter zeigt das Protokollbuch der ersten Internationalen einen gewerkschaftlicheren und sozialdemokratischeren Marx als es der Autor des kommunistischen Manifestes war, der beim Thema „Revolution und Gewalt“ eine Rolle spielt. Fiktive Dialoge, beispielweise mit der amerikanischen Frauenrechtlerin Victoria Woodhull (1838-1927), weisen zudem auf Marx‘ Widersprüchlichkeit hin, da er einerseits auf soziale Rechte der Arbeiterinnen setzte, es ihm aber nicht um politische Rechte der Frau ging, erklärt die Politikwissenschaftlerin.
Was ist Kapitalismus?
Als fragmentarisch, unabgeschlossen, aber auch vielfältig wird das Werk von Marx präsentiert. Symbolisch hierfür und ein Leitobjekt der Ausstellung ist Marx‘ persönliches Exemplar „Das Kapital“ mit seinen handschriftlichen Anmerkungen für die zweite Auflage, heute Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes. Es zeigt, wie sehr Marx seine Überlegungen und Prognosen immer wieder überdacht und redigiert habe. Umso erstaunlicher, betont Herres, der bis 2021 Mitarbeiter der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften war, dass Marx im 20. Jahrhundert als Begründer eines in sich geschlossenen Systems des wissenschaftlichen Sozialismus gesehen wurde. Marx sah den doppelten Charakter des Kapitalismus, einerseits ein „profitgenerierendes System zu sein und andererseits eine Wachstums- und Wohlstandsmaschine“, so Herres. Als einer der ersten sah er aber auch, welches Problem eine rein wirtschaftliche Macht für die Politik darstelle, fügt er hinzu.
Auch deshalb will die Ausstellung zu einer Auseinandersetzung mit den noch heute aktuellen Ideen von Marx anregen. Denn die Fragen, die Marx in seiner Wirtschafts- und Gesellschaftskritik stellte, seien angesichts heutiger Transformationen und Krisen weiter in der Diskussion. Gleichzeitig geht es aber auch um eine Begriffsklärung: Was ist Kapitalismus? Marx selber habe den Begriff Kapitalismus praktisch nie verwendet, betont Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums. In seinem umfangreichen Werk sei lediglich von Kapital oder kapitalistischer Produktionsweise die Rede. „Wir alle haben eine bestimmte Vorstellung von Kapitalismus – nur nicht dieselbe“, erklärt er. Genau das sei der Anlass gewesen, mit der Ausstellung „Karl Marx und der Kapitalismus“ sich diesem Thema zu nähern.
Aktualität bleibt
Dass die Marxsche Kritik nicht an Aktualität eingebüßt hat, zeigen Ergebnisse einer vom DHM erhobenen repräsentativen Umfrage, die gleich zu Beginn der Ausstellung zu sehen ist. Danach sind 44 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die Kapitalismuskritik von Karl Marx auch heute helfen kann, die Probleme des Kapitalismus besser zu verstehen. Unter den 16- bis 22-Jährigen und den 55- bis 64-Jährigen sind es sogar mehr als 60 Prozent. Lediglich knapp 22 Prozent sehen das nicht so.
Der präparierte Humboldtpinguin ist im Themenbereich „Natur und Ökologie“ zu finden. Im Düngemittel Guano, dem Kot von südamerikanischen Seevögeln, sah Marx zunächst eine Lösung für eine schwindende Bodenfruchtbarkeit, ist als Erklärung auf der Begleittafel zu lesen. Ursachen für die ungebremste Ausbeutung der Natur sah Marx darin, dass die kapitalistische Wirtschaft auf ständigem Wachstum und Gewinnmaximierung basierte. Weitere Themenbereiche neben den hier bereits erwähnten sind: Von der Religions- zur Gesellschaftskritik, Judenemanzipation und Antisemitismus und neue Technologien.
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.