Sollte jeder ein Grundrecht auf sauberes Wasser haben oder ist dies nur ein Lebensmittel wie jedes andere auch? Der atmosphärisch dichte Dokumentarfilm „Bottled Life“ zeigt, wie Nestlé weltweit daran arbeitet, Wasser zu Gold zu machen und wer darunter leidet.
Kein anderer Nahrungsmittelkonzern steht seit Jahren so unter Beschuss wie Nestlé. Genmanipulierte Milch und Schokolade sind nur zwei Beispiele für den Aufruhr unter Verbraucherschützern. Den PR-Super-GAU schlechthin erlebten die Schweizer in letzter Zeit allerdings ausgerechnet mit jenem Produkt, den die Konzernlenker zum eigentlichen Garanten für dicke Gewinne auserkoren haben: Wasser. Großen Anteil daran hat „Bottled Life“ (Leben in Flaschen). Darin zeigen Regisseur Urs Schnell und Rechercheur Res Gehringer, wie Nestlé mit rücksichtsloser Rohstoffgewinnung und Hochglanz-Marketing die Märkte überschwemmt.
Trailer
Auf seiner Internetseite begründete der Konzern die Ablehnung von Interviews während der Dreharbeiten mit der befürchteten Einseitigkeit des Films, die sich nun bestätigt habe. Mit dieser Einschätzung dürften die Top-Manager recht einsam sein. Offenbart sie doch vielmehr deren Verteidigungshaltung gegenüber der Öffentlichkeit denn filmische Schwachstellen.
Einseitigkeit ist das Letzte, was Schnell und Gehringer vorzuwerfen ist. In den USA, Pakistan und Afrika waren sie unterwegs, um zu zeigen, wie Nestlé Wasser zu Spottpreisen fördert und anschließend teuer verkauft. Neben Kritikern kommen auch Befürworter dieses Prinzips zu Wort. Auch Konzernlenker wie Aufsichtsratschef Peter Brabeck oder John Harris, der Verantwortliche für Nestlé Waters erklären, wenn auch weitgehend in Archivaufnahmen aus anderen Quellen, ihre Sichtweise.
Reinster Genuss
Ein Vorwurf zieht sich indes wie ein roter Faden durch diese packende Produktion: Dass Nestlé Profit aus der Tatsache schlägt, dass Staaten wie Pakistan kaum über trinkbares Wasser aus dem Hahn verfügen, weil die Infrastruktur hoffnungslos marode ist. Zudem sind die Bevölkerungszahlen in der kriselnden Atommacht seit Jahren auf Wachstumskurs. Kein Wunder also, dass der Konzern einst Pakistan zum Testmarkt für ein Produkt auserkoren hatte, das mit einem symbolträchtigen Namen seinen Siegeszug um den gesamten Globus antreten sollte: „Pure Life“ verspricht den Geschmack reinsten Quellwassers, wird aber genauso in Fabriken abgefüllt wie zahllose andere Mineralwasser-Marken des Giganten.
Doch jene Plastikflaschen können sich allein die Pakistani leisten, die mindestens der Mittelschicht entstammen. Nicht nur in dem Städtchen nahe der Wirtschaftsmetropole Lahore, das die Filmemacher besuchten, trinken die Ärmsten weiterhin die trübe Brühe aus den verrosteten und verkeimten Röhren, was immer wieder Magen- und Darmbeschwerden und Schlimmeres nach sich zieht. Wenn die frühere UN-Chefberaterin für Wasser, Maude Barlow, vor der Kamera erklärt, es sterben pro Tag mehr Kinder durch verschmutztes Wasser als an HIV, Malaria, Hunger, Krieg und Unfällen zusammen, wirken die Bilder aus Südasien umso beklemmender. Zumal die nahegelegene „Pure-Life“-Produktionsstätte an dem Elend offenbar entscheidenden Anteil hat, wie ein Kommunalpolitiker erklärt. Aus einem eigens errichteten Tiefbrunnen zapft Nestlé gigantische Wassermengen ab. Dadurch sei der Grundwasserspiegel ringsherum gesunken und die Rohrleitung zur Siedlung umso verdreckter. Nestlé sei ein „Raubtier auf der Suche nach dem letzten sauberen Wasser dieser Erde“, sagt Barlow.
Elend aus dem Wasser
Ist Wasser nun ein allgemeines Grundrecht oder irgendein Rohstoff, der zu Marktpreisen vertrieben werden kann? Gerade am Beispiel Pakistan ist die Dramatik, die hinter jener Frage, die Brabeck während einer Diskussionsveranstaltung, man darf wohl sagen: hintersinnig, in den Raum wirft, mit Händen zu greifen. Das gilt erst recht für die erschütternden Szenen in der Lagune der nigerianischen Mega-City Lagos, die ein selten gesehenes Elend dokumentieren. Auch hier lockt „Pure Life“ mit gesunder Erfrischung, doch die bleibt ein schöner Traum.
Dass in Zeiten der Globalisierung auch Wirtschaftsdokumentationen um die Welt reisen müssen, wenn sie in die Tiefe gehen wollen, liegt auf der Hand. Doch selten haben Rekonstruktion, Argumentation und Bildsprache eine derart verdichtete Erzählung ergeben wie in „Bottled Life“. Der Film kommt den Menschen in den Elendsquartieren so nah wie nötig, um zu zeigen, was es heißt, ohne das gesunde Nass aus dem Hahn auskommen zu müssen. Nicht zuletzt wegen der Vielzahl an Gesprächspartnern bietet er reichlich Erkenntnisgewinn. Die Selbstdarstellung der Nestlé-Manager kann dagegen nur zynisch oder realitätsfremd erscheinen. Doch Schnell und Gehringer lassen auch bei diesem Erzählstrang Behutsamkeit walten.
Schließlich gibt es sogar einen hoffnungsvollen Moment zu erleben. Mag Nestlé als übermächtiger Multi erscheinen, der weltweit Wasserquellen plündert und dabei Regierungen wie auch Vorschriften manipuliert. Im US-Bundesstaat Maine verhinderten die Einwohner, dass Nestlé dort, wie andernorts in der Region, nach Wasser bohrt. Sie beriefen sich auf ihr in der Verfassung verbrieftes Grundrecht, selbst zu entscheiden, was mit ihren Wasserreserven passiert.
Info: „Bottled Life – Das Geschäft mit dem Wasser“ (CH/D 2012), ein Film von Urs Schnell und Res Gehringer, 94 Minuten. Ab sofort im Kino