Kultur

„National Bird“: US-Drohnenkrieger kämpfen einsam

Nach der Euphorie kamen die Schuldgefühle: Der Dokumentarfilm „National Bird“, der jetzt auf DVD erschienen ist, lässt erstmals Veteranen des Drohnenkriegs der USA zu Wort kommen. Eine Filmproduktion mit Risiko.
von ohne Autor · 15. Dezember 2017
National Bird
National Bird

In Afghanistan haben die Kinder Angst vor dem Himmel. Wie aus dem Nichts tauchen schlanke Flugobjekte auf, die man erst dann sieht, wenn sie alles beschießen, was sich im Blickfeld ihrer Kameras bewegt. Umso besser ist vorher ihr pfeifender Klang zu hören. Drohnen wurden seitens der Obama-Administration zum Allheilmittel im Kampf gegen Terroristen stilisiert, obwohl sie immer wieder Unschuldige töten oder verstümmeln.

Berufseinsteiger im Drohnenprogramm der Air Force

Diese Art der Kriegsführung zeigt besonders deutlich, wie sich der technische Fortschritt von moralischen Werten entkoppelt. Doch die an Ballerspiele erinnernden Werbespots der Air Force zeichnen eine Welt von aufrichtigen Helden, die ferngesteuerten Flugzeuge um die Welt schicken, um Terroristen auszuschalten. Kein Wunder, wenn Menschen, zumal Jugendliche ohne Perspektive, diesem Marketing auf den Leim gehen und sich zum Dienst verpflichten lassen.

Drei solcher Berufseinsteiger stellt die investigative Filmemacherin Sonia Kennebeck in „National Bird“ vor. Als Heather ihren Job in einem US-Stützpunkt antritt, ist sie jung und patriotisch, aber auch gelangweilt von ihrem Leben in der Provinz. Das Drohnenprogramm der Air Force erscheint ihr als Abenteuer. Sie identifiziert „Ziele“ im Irak und in Afghanistan. Nachdem ihre Kollegen auf‘s Knöpfchen gedrückt haben, zählt sie die Toten, darunter immer wieder Zivilisten. Nach wenigen Jahren steigt sie aus dem Schichtdienst-Krieg aus. Seitdem ist sie psychisch krank, doch kaum ein Therapeut kann ihr helfen: Als Veteranin unterliegt sie besonderen Geheimhaltungsvorschriften. Auch Daniel schmeißt irgendwann hin, allerdings bei der NSA. Was er genau mit Drohnen zu tun hatte, bleibt im Dunkeln. Mittlerweile geht er auf Antikriegsdemonstrationen. Auch Lisa trug dazu bei, Menschen am anderen Ende der Welt ins Fadenkreuz nehmen.

Durchsuchungen während der Dreharbeiten

Allen drei gemeinsam ist nicht nur der Drang, das Leiden an ihrer früheren Tätigkeit öffentlich zu machen, sondern auch die US-Regierung dazu zu bewegen, die Drohnen-Strategie zu ändern oder gar aufzugeben. Welche Gefahren sie dabei auf sich nehmen, zeigt das Vorgehen der Behörden während der Dreharbeiten: Daniels Haus wurde vom FBI durchsucht, Heathers Familie erhielt eine Warnung per Telefon. So wurde der Film unter nahezu konspirativen Bedingungen fertiggestellt. Um das Projekt abzusichern, holte Kennebeck neben einer beratenden Whistleblower-Anwältin die Regisseure Wim Wenders und Erroll Morris als Produzenten mit ins Boot.

Schuldgefühle, das Erschrecken vor dem eigenen Tun und die Gewissheit, mit all dem alleingelassen zu werden: Der Film erzählt über weite Strecken weniger über militärische Details als über die Versuche, das Erlebte zu verarbeiten und zurück in ein „normales“ Leben zu finden. Auch der politische Rahmen des Ganzen wird kaum berührt. So entsteht eine beklemmende, sehr persönliche Geschichte über die alles andere als glanzvollen Seiten des Hightech-Krieges.

Das Wort ergreift auch der frühere US-General Stanley Allen McChrystal. Unter seinem Oberkommando kam es zu einer Drohnen-Attacke auf zwei Familien in Afghanistan. 23 unschuldige Männer, Frauen und Kinder starben. Dieser Angriff bildet den Aufhänger für die zweite Erzählebene: Um den Menschen, die sie indirekt terrorisierte, endlich in die Augen zu schauen, reist Lisa nach Afghanistan. In einer Prothesenklinik berichten Menschen, wie die Luftschläge nicht nur das Leben des Einzelnen oder ganzer Familien zerstören, sondern auch ein ganzes Land traumatisieren. Ein Vater zeigt sich dennoch versöhnlich, bittet aber darum, mit den als willkürlich empfundenen Bomben auf Unbescholtene endlich aufzuhören. Erschütternder könnte eine Szene zu diesem Thema kaum sein.

Dramen an beiden Enden des Drohnenkrieges

„National Bird“ verzichtet auf eine eindeutige Haltung und verlässt sich ganz auf die Aussagen der Aufretenden. Das, was manch einen an Dokumentarfilmen der jüngeren Zeit nervt, geht hier voll auf. Allein, weil die zu Wort kommen, die sonst selten oder gar nicht gehört werden, auch aus Angst, am Ende hinter Gittern zu landen. So offenbaren sich berührende Dramen an beiden Enden des Drohnenkrieges. Diese offenzulegen, ist unter den gegenwärtigen Umständen schon Haltung genug.

Mehr in Sachen Haltung bieten die Extras der DVD: Neben einigen ergänzenden Szenen ist ein Interview mit Sonia Kennebeck zu sehen. Darin geht sie auf weitere Hintergründe der Entstehung des Films ein und schildert ihre persönliche Sicht auf den Drohnenkrieg.

 

Info: „National Bird“ (Deutschland/USA 2016), ein Film von Sonia Kennebeck, 88 Minuten. Ab sofort auf DVD

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