Kultur

Nahost vom Tresen aus gesehen

Ein bisschen Frieden im Herzen von Jerusalem: Der Dokumentarfilm „Café Ta'amon“ erzählt von einem höchst politischen Ort, an dem unüberwindliche Gegensätze in Milchschaum ertränkt werden.
von ohne Autor · 19. Mai 2015

Ob Kneipen, Cafés oder eine konspirative Parkbank: Die Geschichte einer politischen Bewegung ist immer auch die ihrer Treffpunkte. Das gilt auch für die linken Organisationen Matzpen (hebräisch für Kompass) und Black Panthers in Israel. Während der jüdische Staat nach dem Sechstagekrieg einen nationalen Rausch erlebte, setzten sich die Aktivisten für den Abzug der israelischen Besatzungstruppen und eine Lösung des Nahostkonfliktes ein – und wurden dafür von der Polizei niedergeknüppelt und eingesperrt.

In einem unscheinbaren, aber bedeutsamen Bistro in Jerusalem planten sie Demonstrationen und lieferten sich hitzige politische Debatten. Ihre Gegner fühlten sich im Café Ta'amon nicht minder wohl. Auch führende Vertreter von Israels Rechten kamen, um zu frühstücken oder auf einen Kaffee. Einer von ihnen soll der heutige Staatspräsident Reuven Rivlin gewesen sein. Selbst in Zeiten heftigster politischer Konfrontation blieb der Zwist – fast immer – draußen vor der Tür, berichten Zeitzeugen. „Es hat in Israel weder früher noch später etwas gegeben wie im Ta'amon in den ersten Tagen nach dem Sechs-Tage-Krieg“, erinnert sich der Psychologe Shimshon Wigoder. „Israel war damals eine völlig aus dem Häuschen geratene Gesellschaft.“

Prominente Gäste

Der Münchner Dokumentarfilmer Michael Teutsch zeigt Einblicke in einen israelischen Alltag, der in der deutschen Medienöffentlichkeit selten präsent ist: die friedliche Koexistenz verschiedener politischer und religiöser Strömungen abseits der großen Konflikte. Das Café Ta'amon bietet dafür ein anschauliches Beispiel. Bedeutende Abschnitte der Geschichte und Vorgeschichte des jüdischen Staates verdichten sich in dem schmalen Raum zwischen Tresen und Küche. 1936 in der King-George-Street von deutsch-jüdischen Einwanderern gegründet, wurde das Café schnell zum politischen Hotspot. Wohl auch, weil es direkt gegenüber dem früheren Standort des israelischen Parlaments, der Knesset, lag, erfrischten sich dort Politiker wie Menachem Begin, Jitzak Rabin und Golda Meir.

Im Jahr 1960 übernahmen Mordechai Kopp und seine Frau Jochevet das Geschäft. Und damit beginnt die eigentliche Geschichte des Films. Sie erzählt von einem Ehepaar, das 53 Jahre lang einen Ort am Leben erhält, der auf vielerlei Weise die Menschen an sich bindet und neue Verbindungen herstellt. Wenn linke Demonstranten hinter Gitter kommen, schickt Mordechai Kopp ihnen Essen und Zigaretten. Wer gerade nicht flüssig ist, lässt anschreiben, zum Teil jahrelang. Kein Wunder, dass sie den Wirt im Viertel scherzhaft „Don Kopp“ nennen. Er selbst bezeichnet sich übrigens als religiösen Nationalisten – und beschäftigt 30 Jahre lang einen afrikanischen Muslim aus den besetzten Gebieten.

Der Nahostkonflikt, innenpolitische Reibereien, die zunehmende Armut im Land und letztendlich auch der Holocaust: All das wirkt oft weit weg und ist in all den Szenen der Caféroutine, wenn der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 85-Jährige Mordechai Kopp den Milchschäumer fauchen lässt, um anschließend bedächtigen Schrittes den Kaffee zu servieren, doch immer wieder unvermittelt da. Zum Beispiel, wenn ältere Stammgäste spontan auf Deutsch erzählen, was sie nach Israel verschlagen hat oder wenn Fragen zum Zusammenleben von Juden und Muslimen zur Sprache kommen.

Rechte toben

Veteranen der linken Friedensbewegung lassen die turbulenten 60er- und 70er-Jahre Revue passieren und verknüpfen die damaligen Debatten mit den politischen und gesellschaftlichen Fragen von heute. Als der heutige Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit als Studentenaktivist an einer Friedenskonferenz teilnahm, schlug ihm mit der Aussage „Das sind die Leute, die uns wieder nach Auschwitz bringen wollen“ die ganze Wut des rechten Flügels entgegen, ist zu hören.

Ebenso plötzlich schlägt der 1945 geborene Filmemacher immer wieder den Bogen zurück von den Reflektionen der Auftretenden zum Hauptort des Geschehens. So spiegelt sich in dem Porträt des 2013 geschlossenen Cafés auch die, bisweilen fragile, Identität Israels wider. Selbst wenn das Aneinanderreihen von Erinnerungsberichten manchmal etwas ermüdend ist: Dieser verdichtete Blick auf ein Land im Umbruch, der auch ein Dokument der Menschlichkeit und Toleranz ist, berührt zutiefst. Auch, weil die Handkamera stets ein Gefühl der Unmittelbarkeit suggeriert. Ein paar Details zu den kulinarischen Vorlieben der (prominenten) Gäste wären allerdings wünschenswert gewesen.

Café Ta'amon (Deutschland 2013), ein Film von Michael Teutsch, mit Mordechai und Jochevet Kopp, Chaim Hengbi, Daniel-Cohn-Bendit u.a., 90 Minuten, OmU
Ab sofort im Kino

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