Kultur

Mythos „Odessa“

von Die Redaktion · 17. April 2007

von Felix Wiedemann

Die argentinische Regierung unter Peron, westliche Geheimdienste und sogar der Vatikan sollen angeblich mitgeholfen haben, zahlreiche Nazi-Größen ins sichere Exil zu schleusen. So in etwa kann man es im Bestseller "Die Akte Odessa" von Frederick Forsyth nachlesen; aber auch der berühmte "Nazijäger" Simon Wiesenthal war von der Existenz Odessas überzeugt. Dem haben verschiedene Historiker widersprochen. Zwar konnten sich tatsächlich einige NS-Verbrecher nach Argentinien absetzen, eine Organisation namens "Odessa" hat es aber nie gegeben.

Internationale Verschwörung?

Der argentinische Journalist Uki Goñi strickt in seinem Buch dennoch weiter fleißig am Mythos. Dabei bezweifelt auch Goñi die Existenz einer Geheimorganisation von Altnazis namens Odessa: Das Ausmaß der Verschwörung stellt sich in seiner "wahren Geschichte" als sehr viel größer dar, glaubt er doch Spuren eines gespenstischen Netzwerkes "überlagernder Kreise von Nicht-Nazi-Organisationen" inklusive "Vatikan, alliierten Geheimdienste und verdeckt arbeitenden argentinischen Organisationen" ausfindig gemacht zu haben - alle vereint in dem Bemühen, dem Nazismus ein Weiterleben im südamerikanischen Exil zu ermöglichen.

Dabei ist dem Buch an jeder Stelle die starke innenpolitische Motivation anzumerken: So legt Goñi großen Wert auf die persönliche Verstrickung des argentinischen Präsidenten Juan Perón in die konspirative Fluchthilfeaktion und versucht dessen ideologische Nähe zum Nationalsozialismus zu belegen. Durch sprachliche Analogien entsteht hier der Eindruck einer strukturellen Identität von Peronismus und Nationalsozialismus. Doch Goñi spannt den Bogen noch weiter und vermutet auch hinter der Militärdiktatur der 1970er Jahre verborgene nationalsozialistische Kräfte.

Schließlich endet das Buch in einem lauten Lamento über den korrupten Zustand der argentinischen Gesellschaft zu Zeiten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs im Jahr 2002. Alles gerät hier zur Spätfolge der argentinischen Ursünde: Der planmäßig organisierten nazistischen Unterwanderung nach 1945.

Linke Verschwörungsmythen

So etwas nennt man wohl vom Hölzchen auf Stöcksken kommen oder, vornehmer ausgedrückt, den "Zauberstab der Analogie" (Novalis) gebrauchen. In der Tat liest sich das Buch denn auch eher wie ein, wenn auch mäßiger, Enthüllungsroman als eine historische Studie.

Die vielen Rezensenten in liberalen und linken deutschsprachigen Blättern wie "Frankfurter Rundschau", "taz" und "Junge Welt", die das Buch äußerst positiv rezensiert haben, hat dies freilich ebenso wenig gestört, wie Goñis relativierenden Vergleiche zwischen Nationalsozialismus und Peronismus. Schließlich bietet seine Enthüllungsgeschichte genau das an, was man in diesem Milieu immer schon zu wissen glaubt - ein Komplott von Altnazis, Vatikan, USA und südamerikanischen Junta-Regimen.

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