Kultur

Mutig oder nicht mutig: Ein Familienentwurf

von Dagmar Günther · 19. Mai 2008

Ist dieses Buch mutig? Verfasser Martin Lohmann will sich nicht von Klischees irritieren lassen und das ist an sich schon mutig, denn ohne klischeehafte Vergröberungen fehlen meist auch die den Rücken stärkenden Gruppen.. In puncto Familie spalten sich die Betrachtungsweisen, wie Lohmann meint, immer noch in Verunglimpfungen von Müttern entweder als "Rabenmütter" (die erwerbstätigen) oder "Heimchen am Herd" (die reinen Hausfrauen) auf. Er will, dass Familien sich individuell entscheiden können, und dieser Wille ist anerkennenswert.



Der Autor, studierter Theologe, Historiker, Philosoph und Erziehungswissenschaftler ist politischer Publizist von Profession. Er schätzt an der eigenen Familie wie an der Familie allgemein, dass sie den Rücken stärken kann, wo man es braucht. Ohne individuelle Stärke keine Leistung. Familienpolitik ist also wichtige Politik für die Gesellschaft insgesamt. Das wird von Lohmann überzeugend dargelegt.



Das Fehlen von Familienpolitik

Bemängelt wird vom Autor das Fehlen von Familienpolitik in Deutschland. Frauenförderungspolitik sei zwar ebenfalls wichtig, aber nicht identisch mit Familienpolitik.

Alles, was aktuell getan werde - Forderung nach mehr Kita-Plätzen etc. -, ziele nur auf das Erwerbsleben. Dass dies allein nicht der richtige Weg sein könne, zeige sich daran, dass es auch in der DDR trotz der sehr guten Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen nicht ausreichend Nachwuchs gegeben hätte.



Nachdrücklich fordert Lohmann, der selbst Familienvater ist, eine Aufwertung von Mutterschaft und Familie. Er plädiert zudem für Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Modellen des Mutterseins, macht aber auch kein Hehl daraus, welches er für das Kindeswohl als das geeignetste ansieht.



Der katholischen Konfession zugehörig untermauert der Autor seine Aussagen zur gesellschaftsprägenden Rolle der Familie durch den Bezug auf die Charta der Familienrechte der katholischen Kirche, geht allerdings beispielsweise auch auf Positionen anderer ein (beispielsweise der Jungsozialisten Oberbayerns). Aus allem geht eins deutlich hervor: An der wichtigen Rolle von Familie zweifelt niemand.



Die Frage ist nur, welcher Art Familienpolitik sein muss, um tatsächlich die gewünschte Zuversicht zu verbreiten, die junge Menschen motivieren kann, Verantwortung für Kinder auf sich zu nehmen und ihr auch gerecht zu werden. Immerhin -das weiß der Autor mit Bezug auf statistische Angaben zu konstatieren, die Zuversicht, dass Kinder zur Welt zu bringen, wichtig und richtig sei, sei seit 1991 bei jungen Leuten zumindest ein wenig gewachsen.



Etikettenschwindel bezüglich der Förderung oder Nicht-Förderung von Familien mit Kindern weist der Autor nach, wenn es um das Erziehungsgeld geht, das sich nach den neuen Regelungen für gut verdienende Mütter erheblich erhöht hat, für mittellose aber - durch die Reduzierung des Erziehungsgeldes auf ein Jahr - verschlechtert hat. Ebenso zeigt er auf, dass Ehegattensplitting keine spezielle Förderung von Familien mit Kindern ist.



Mutterschaft als Beruf anerkennen

Der Forderung des Autors nach bezahlter Familienarbeit, einer alten Forderung aus den Anfängen der Frauenbewegung, möchte man sich gern anschließen, der Forderung nach der Möglichkeit, das Familienmodell frei zu wählen, ohnehin.



Die Forderung des Autors, Mutterschaft als Beruf anerkennen, geht letztlich noch weiter, denn sie wäre ein Ansatz für ein ganz neues Gesellschaftsmodell, das nach der Bezahlung bisher unbezahlt geleisteter, aber für den Erhalt der Gesellschaft unabdingbarer Arbeit fragte.



Da wäre folglich nach gerechterem Arbeitseinkommen allgemein zu fragen. Es wäre nach den Möglichkeiten der Qualifikation für auch bisher unbezahlt geleistete Arbeit zu schauen. Rund-um-die-Uhr-Aufgaben, wie es die Versorgung von Kleinst- und Kleinkindern eine ist, verlangen quantitativen (Zeit) und qualitativen (Liebe und Toleranz und noch einiges dazu) Einsatz. Auch soziale Kompetenzen wollen - vorzüglich in der Familie, aber nicht nur dort - erlernt sein. Es könnte überdacht werden, wie mangelnde soziale Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu beheben seinen, die in jedem Beruf, aber besonders in dem einer Mutter schädlich sind. So weit allerdings geht der Autor nicht und das wäre vielleicht auch zuviel verlangt.



Doch liegt ein Manko des Buches darin, dass dem auf Individualität des Familienmodells pochenden Ansatz nicht gefolgt und letztlich doch einseitig für eine Gruppe Partei genommen wird. Die Mutter - hier als ein für allemal gegebenes Idealbild gesehen - soll alles richten können. Das aber dürfte einer Überforderung für diese gleichkommen, denn die sozialen Widersprüche schlagen sich eben auch in der Familie nieder und sind allein durch die Mütter nicht zu kompensieren. Mit den vom Autor apostrophierten Gefahren einer Gleichmacherei von Frau und Mann hinweist hat das nichts zu tun Er selbst unterliegt dieser Gefahr, wo er selbst Unterschiede nivelliert, beispielsweise, wenn er das Sprichwort, demzufolge es leicht sei, Vater zu werden, aber schwer, Vater zu sein, auf die Frauen bezieht und meint, hier gelte das leichte Werden und das schwere Sein ebenso.

Mutter zu werden, ist eine viel komplexere Angelegenheit, als es hier angedacht wird. Was bleibt, ist die wichtige Forderung nach einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Das ist wirklich eine Kardinalforderung.





Dorle Gelbhaar



Martin Lohmann "Etiketten Schwindel Familienpolitik. Ein Zwischenruf für mehr Bürgerfreiheit und das Ende der Bevormundung", Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München, 2008, 222 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-579-06987-6

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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