Genau diese Erfahrung machen zumindest Martin, Maureen, Jess und JJ, die Hauptfiguren des neuesten Buches aus der Feder des britischen Kultautors Nick Hornby ("Fever Pitch", "About a boy"),
als sie alle in der Silvesternacht unabhängig voneinander das Dach des gleichen Londoner Hochhauses erklimmen, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Pustekuchen, der stille Abgang ist geplatzt. Nicht,
dass es dem einen oder anderen vielleicht ohnehin an Entschlossenheit gemangelt hätte, aber es gibt schließlich ein Anrecht auf Privatsphäre.
Der Roman "A Long Way Down" erzählt die Geschichten dieser vier irgendwie aus der Bahn geratenen Existenzen, die bei ihrer ersten Begegnung auf besagtem Dach wenig mehr gemeinsam haben als
ihre Lebensmüdigkeit; vier durchaus nicht unsympathische Menschen, die es beim besten Willen nicht fertig kriegen, auch nur für einen Augenblick mal halbwegs nett zu sich selbst zu sein. Irgendwie
jedenfalls halten sich die Suizidkandidaten in dieser Nacht gegenseitig davon ab, ihrem Vorhaben eine unwiderrufliche Endgültigkeit zu verleihen. Vorerst. Als ob sie im Gegenzug die Hartnäckigkeit
der Verzweiflung auf die Probe stellen wollten, vereinbaren sie, sich am Valentinstag an gleicher Stelle zu einem neuen Versuch zu treffen.
Ein makaberer Pakt, gleichzeitig aber auch die Geburtsstunde einer mehr als kruden Schicksalsgemeinschaft, bestehend aus einem in der Öffentlichkeit in Ungnade gefallenen Ex-Fernsehmoderator,
der verstockten, katholischen Mutter eines behinderten Jungen, einer rebellischen Teenagerin mit losem Mundwerk und ministerieller Verwandtschaft sowie einem solipsistischen Amerikaner, der sich
nach gescheiterter Musikkarriere nun als Pizza-Fahrer verdingt. So weit, so gut. Aber was fängt man eigentlich mit sechs Wochen Zeit an, wenn man sich gerade noch umbringen wollte?
Die folgenden Erlebnisse und Gedanken der Protagonisten ziehen beim Lesen vorbei wie Schaufenster an einem fahrenden Auto. Die Erzählperspektive rotiert unter den vier Todgeweihten, die
derweil ihre eigenen seelischen Abgründe erkunden oder sich in süffisant-sarkastischen Dialogen gegenseitig die Bälle zupassen. Erfolgsautor Hornby geht schonungslos mit den Unzulänglichkeiten der
von ihm geschaffenen Charaktere um und bohrt in jeder noch so kleinen Wunde herum. Jede Figur bekommt ihr persönliches dunkles Kapitel. Der "Weg nach Unten" ist in der Vorstellung des geistigen
Schöpfers offensichtlich nicht nur lang, sondern auch außerordentlich steinig.
"A Long Way Down" ist eine herrliche Lektüre: amüsant und komisch, zugleich aber auch tragisch und melancholisch - und keine einzige Seite zuviel. Dem doch eher betrüblichen Thema zum Trotz
ist der Roman aber vor allem eine recht vergnügliche Angelegenheit ohne Anspruch auf Realitätsabbildung oder Selbsterkenntnis. Angesichts eines so unterhaltsamen Autors wie Nick Hornby ist das auch
gar nicht nötig. Und das Thema Selbstmord können wir hernach getrost wieder der Obhut spaßloser, Ketten rauchender französischer Existenzialisten überlassen.
Michael Funk
Nick Hornby: A Long Way Down, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2005, 342 Seiten,19,90 Euro, ISBN 3-462-03455-3
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