Kultur

A Moveable Feast: Warum Hemingways Paris-Buch jetzt wieder ein Bestseller ist

Über 50 Jahre ist Ernest Hemingways Geschichtensammlung über sein Leben im Paris der 1920er Jahre schon alt – und nun auf den französischen Bestsellerlisten gelandet. Eine Erkundung.
von · 8. Dezember 2015

Ernest Hemingway soll gesagt haben: „Wenn du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst.“ Paris, so Hemingway, sei „a moveable feast“, ein beweglicher Feiertag – also ein Feiertag, der jedes Jahr auf ein anderes Datum fallen kann, wie Ostern. Es ist kein Wunder, dass Hemingways Buch mit demselben Titel es nach den Anschlägen in Paris 2015 wieder auf die französischen Bestsellerlisten geschafft hat: Vor allem junge Menschen starben durch die Schüsse der Attentäter, unbeschwerte Konzert-Besucher – die „Génération Bataclan“, wie die französische Zeitung „Libération“ titelte.

Die „verlorene Generation“

In „A Moveable Feast“ beschreibt der junge Hemingway sein Leben in Paris, wo er zwischen 1921 und 1926 mit seiner ersten Frau Hadley lebte. Er war Anfang 20 und arbeitete als Auslandskorrespondent – das Beobachten und Festhalten kleiner alltäglicher Begebenheiten gehörte also zu seinen Aufgaben. Viele dieser Begebenheiten sind – mal humorvoll, mal spitzzüngig – in „A Moveable Feast“ gesammelt, welches erst nach Hemingways Tod veröffentlich wurde.

Das Paris, wie der damals noch unbekannte Amerikaner es kennenlernte, war das Paris der Intellektuellen und Künstler. Man traf sich im Salon von Gertrude Stein im Montparnasse-Viertel und in Sylvia Beachs Leihbibliothek „Shakespeare and Company“. Hemingway lernte unter anderem F. Scott Fitzgerald, Ezra Pound und Pablo Picasso kennen. Eine Gruppe von „expatriats“, zum Großteil bestehend aus in Paris lebenden Amerikanern. Gertrude Stein, Grande Dame und Förderin der Szene, beschrieb die Gruppe als „lost generation“, als verlorene Generation: „Verloren“ meinte in diesem Zusammenhang weniger „verschwunden“, als vielmehr „orientierungslos“. Eine passende Beschreibung, denn in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg mussten viele, die diesen überlebt hatten, ihren Platz in der Welt erst wieder finden.

Mehr Lebensgefühl als Ort

Vielleicht ist es genau dieser Punkt, welcher das 1964 erstmals veröffentlichte „A Moveable Feast“ heute wieder so beliebt macht, so viele Franzosen berührt: Die Grande Nation hat ihre Orientierung verloren; die Republik, une et indivisible (eins und unteilbar) ist zerrissen, verloren – die Kriegsrhetorik von Staatspräsident François Hollande, der politische Aktionismus, können diese Tatsache nur kurzfristig kaschieren. Frankreich hat sich durch die Anschläge vom 13. November fundamental verändert. Wo die „Charlie Hebdo“-Attentäter ihre Opfer nach ihren – vermeintlichen – politischen und religiösen Ansichten aussuchten, da zeigen die aktuellen Anschläge: Es kann jeden treffen. Und Paris, diese chaotische, lebensfrohe Stadt, wo sich vieles auf den Straßen abspielt, in Cafés, ist tief getroffen. Die Leichtigkeit ist verschwunden.

Im Vorwort zur Neuausgabe der Geschichtensammlung schreibt Patrick Hemingway, Sohn von Hemingway und seiner zweiten Frau Pauline, unter einem „beweglichen Feiertag“ hätte Hemingway später eine Erinnerung verstanden, einen Zustand, welcher zu einem Teil von ihm selbst geworden sei: Etwas, das man immer mit sich tragen, was man nie verlieren könne. Paris war schon immer mehr Lebensgefühl als ein bestimmter Ort, mehr Mystifizierung als Realität, viel mehr und viel weniger, ganz anders und doch genauso, wie man es sich vorstellte. „A Moveable Feast“ beschwört dies herauf, es zeigt ein hemingwaysches Idealbild von Paris. Und für so ein altes Buch ist es erstaunlich frisch und aktuell. Nicht nur, weil viele der von Hemingway beschriebenen Orte in Paris noch heute existieren – sondern auch, weil das Buch ein bestimmtes Gefühl transportiert. Ein melancholisches Sehnen nach der Vergangenheit, danach, wie es mal war; wie es vor kurzem noch war. 

Der Frühling kommt

In der Geschichte „Menschen an der Seine“ schreibt Hemingway über den Pariser Winter: „Jedes Jahr starb ein Teil von dir, wenn die Blätter von den Bäumen fielen und ihre Äste nackt waren gegen den Wind und das kalte, frostige Licht. Aber du wusstest, dass es immer den Frühling geben würde (…). Wenn der kalte Regen anhielt und den Frühling tötete, war es, als sei ein junger Mensch grundlos gestorben. Damals kam der Frühling am Ende doch noch; aber es war beängstigend, dass er fast gescheitert wäre.” In Paris sind durch die Attentate viele – nicht nur junge – Menschen grundlos gestorben. Der Winter hat gerade erst angefangen, aber der Frühling wird kommen. Paris ist tot, es lebe Paris.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare