Kultur

Moral in der Politik

von Die Redaktion · 3. November 2006

Zunächst einmal: Religion gänzlich aus der Politik zu verbannen - das kann und will sich die gläubige Christin Madeleine Albright allen persönlichen Bedenken zum Trotz nicht mehr vorstellen. Die weltweite "Wiederbelebung religiöser Empfindungen" zu ignorieren sei eine große Gefahr für die US-Administration. Vielmehr müsse sich die Politik das "einheitsstiftende Potenzial der Religion zunutze machen".

Keine laute Regierungsschelte

Madeleine Albright gehört nicht zu jenen, die ihre Thesen auf allzu simple Wahrheiten gründen. Wer sich von dem zweiten Buch der 69-Jährigen laute Regierungsschelte erhofft, wird zunächst enttäuscht. Trotzdem, oder gerade deswegen, ist es äußerst lesenswert.

Mit Bedacht stellt Albright ihre Bewertung der aktuellen US-Politik in eine jahrhundertealte Tradition: Jene der amerikanischen Präsidenten, die zur Begründung außenpolitischer Entscheidungen eine "religiöse Mission" ihres Landes anführten. Dem Gedanken der Auserwähltheit erteilt Albright jedoch eine klare Absage.

Die Kritik der ersten Frau im Amt des "secretary of state" an ihren Nachfolgern offenbart sich hier besonders deutlich und fällt umso vernichtender aus. Etwa wenn Albright, wie bei der Vorstellung ihres Buches in Berlin, Abraham Lincoln zitiert: "Gott sollte nicht auf unserer Seite sein, sondern wir sollten auf Gottes Seite sein."

Die kritische Sicht auf die eigene Amtszeit macht Madeleine Albright zu einer bedeutenden liberalen Stimme in einer Zeit, da die US-Politik von einfachen Wahrheiten, vor allem gegenüber der muslimischen Welt, bestimmt scheint. Albright fordert von der amerikanischen Administration mehr Bemühen um ein besseres Verständnis der fremden Religion. Sie regt dazu Verbesserung im Behördenapparat des US-Außenministeriums an. Die Institutionen der amerikanischen Außenpolitik müssten in der Lage sein, "den immensen Einfluss der Religion auf das Denken, Fühlen und Handeln der Menschen zu berücksichtigen".

"Idealistische Realistin"

Albright, die sich selbst als "idealistische Realistin" bezeichnet, bemüht sich - ganz Diplomatin - um eine Mittlerposition zwischen der konservativ-christlichen und der liberalen Sicht auf die "foreign policy". Drei Eckpfeiler - die Unterstützung der religiösen Freiheit, den Kampf gegen Armut sowie das Verhindern von Völkermord - bringt Albright als Vorschläge für einen Grundkonsens US-amerikanischer Außenpolitik zwischen Republikanern und Demokraten ein.

Bei allem Bemühen um Ausgleich warnt Madeleine Albright vor der tiefgehenden Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ebenso wie vor der politischen Klasse in Washington. Ein Phänomen, auf das nicht einmal die selbsternannte "Optimistin, die sich viel ärgert" eine Antwort zu haben scheint. Gerade dieser pessimistische Befund ist es aber, der aufhorchen lässt: denn er beeinhaltet die seit langem scharfsinnigste Abrechnung mit der Politik der Bush-Regierung.

Manuel Preuten

Madeleine K. Albright: Der Mächtige und der Allmächtige.Gott, Amerika und die Weltpolitik. Droemer Verlag, München 2006, 362 Seiten, 19,90 Euro.

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