Es ist erst einige Wochen her, da sorgte die Studie "Gesellschaft im Reformprozess" der Friedrich-Ebert-Stiftung für Aufsehen. Laut Studie leben rund acht Prozent der Bundesbürger in prekären
Verhältnissen, haben in der Mehrheit keine Arbeit mehr, einen überwiegend einfachen Bildungsgrad ein und sehr niedriges Haushaltseinkommen. Finanzielle Rücklagen gebe es kaum und wenig Rückhalt in
den Familien. Es entbrannte eine Debatte zum Thema Unterschicht, die sich überwiegend mit dem angeblich diskriminierenden Begriff beschäftigte, aber folgenlos für die Betroffenen selbst blieb.
Für MdB Andrea Nahles und den Juso-Vorsitzenden Björn Böhning Anlass, sich diesem Thema zu widmen. Vorschläge für eine moderne Politik gegen soziale Ausgrenzung haben sie in einem Buch
gesammelt, mit dessen Titel "Unterschichten? Prekariat? Klassen?" sie darauf aufmerksam machen wollen, dass es ihnen nicht um den Begriff geht. Vielmehr sei ihr Hauptanliegen, so Andrea Nahles bei
der Buchpräsentation am Freitag in Berlin, "eine Politik für Menschen zu beschreiben, die ausgegrenzt sind".
Der ehemalige Arbeitsminister Walter Riester fühlte sich durch das Buch erinnert an die erste Legislaturperiode seiner Amtszeit unter der rot-grünen Regierung. Angesichts der Tatsache, dass
die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander geht, habe er damals den ersten Armuts- und Reichtumsbericht erstellen lassen, um sich ein Bild davon zu machen, was Armut und was
Reichtum ist.
Ein Aufsatz des Buches über Investitionen in den Menschen habe ihn besonders beeindruckt. Investitionen in Bildung und Humandienstleitungen seien notwendig in einer Gesellschaft, in der die
Menschen älter werden. Gerade der Gesunheits- und Pflegebereich habe ein hohes Potenzial an notwendiger Arbeit.
6,8 Millionen Menschen in Deutschland nehmen Hartz IV Leistungen in Anspruch. Riester sieht darin eine "große Herausforderung an meine Partei".
Der Juso-Vorsitzende Björn Böhning forderte vor allem Anstrengungen in der Bildung, "eine neue Weiterbildungsarchitektur". Einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung soll es geben, Lernzeitkonten
und mehr Qualifizierungsangebote durch die Bundesagentur für Arbeit. Überhaupt, ergänzte Nahles, müsse ein logisches Umdenken stattfinden: Die Arbeitslosenversicherung müsse zu einer
Beschäftigungsversicherung werden. Qualifizierungen würden heute erst angeboten, wenn die oder der Betroffene bereits arbeitslos ist. Es müsse jedoch darum gehen die Beschäftigungsfähigkeit zu
erhalten.
Das Buch: Björn Böhning, Klaus Dörre und Andrea Nahles: Unterschichten? Prekariat? Klassen? Moderne Politik gegen soziale Ausgrenzung". Schriftenreihe des Forum Demokratische Linke 21 e.V. ,
Ban1. spw-Verlag Dortmund 2006
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hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.