Beckett ist seit 1926 ein eifriger Kinogänger. Doch ihm sind nicht nur die Filme seiner Zeit vertraut, er hat sich auch intensiv mit Filmtheorie auseinandergesetzt. So kennt er die Schriften
Wsewolod Pudowkins und Sergej Eisensteins genau wie deren Filme, die den Weltruhm des russischen Stummfilms begründeten. Auch Rudolf Arnheims 1932 erschienene filmtheoretische Schrift "Film als
Kunst" ist dem Schriftsteller wohlbekannt. Samuel Becketts literarisches Werk zeugt von seiner Filmbegeisterung, wie Carola Veit unterstreicht.
Leidenschaft Kino
Als er Ende September 1936 in Deutschland ankommt, ist Samuel Beckett als Schriftsteller noch völlig unbekannt. Das Schreiben läuft schleppend und der begeisterte Cineast hat sich gerade an
der russischen Filmhochschule in Moskau beworben. Bei dem berühmten Regisseur und Filmtheoretiker Sergej Eisenstein möchte Beckett studieren. Während er - vergeblich - auf den Studienplatz
wartet, reist er durch das faschistische Deutschland. Auch hier pflegt er seine Leidenschaft Kino.
Beckett kennt Deutschland aus den 1920er Jahren. Drei Jahre nationalsozialistische Herrschaft haben das Land allerdings massiv verändert. Auch im Kino, das seit 1935 Goebbels' persönlicher
Zensur unterstand, spiegeln sich die Maßnahmen des Hitler-Regimes. Die Filmindustrie wird gleichgeschaltet, Juden werden verfolgt: Der Film steht im Dienst der menschenverachtenden Propaganda der
Nationalsozialisten. Nicht zuletzt wegen der "jüdischen Mitarbeit" an amerikanischen Produktionen wird der Anteil von US-Filmen 1936 massiv eingeschränkt. Mit Kriegsbeginn 1939 werden sie völlig
verboten.
"What a filthy story"
So sieht Samuel Beckett in Deutschland neben vier US-Produktionen nur deutsche und österreichische Filme der Zeit. Entsprechend bescheiden ist die Qualität. Unter diesen Umständen kann
Beckett sich zwar für das Schauspiel Heinz Rühmanns erwärmen, die Begeisterung Goebbels für den Darsteller - der später die politische Komponente seiner intensiven Arbeit für die
Nationalsozialisten negieren wird - teilt der Schriftsteller aber nicht. Vor seiner Abreise sieht er noch "Die Kreuzersonate": "What a filthy story" notiert er dazu. Was Beckett als miesen Film
bezeichnet ist eine Arbeit Veit Harlans, dessen infamer antisemitischer Propagandafilm "Jud Süß" 1940 für Furore sorgen wird. Zu diesem Zeitpunkt hat Samuel Beckett Deutschland zum Glück längst
verlassen.
Carola Veit widmet sich einem bisher nicht beachteten Aspekt von Becketts Deutschland-Reise. Zwar sind die Filme die der Schriftsteller in diesem Zeitraum sieht für sein literarisches Werk
kaum relevant, doch Veit unterstreicht mit ihrer Arbeit die Bedeutung des Kinos für Samuel Becketts Literatur. Seine kurzen Tagebucheinträge zu dem Gesehenen spiegeln in erster Linie das niedrige
Niveau der nationalsozialistischen Filmproduktion.
Veit präsentiert die 16 Filme die der Schriftsteller sah und beschäftigt sich neben Becketts Wahrnehmung auch mit den Produktionen selbst: mit ihren Inhalten, ihren Protagonisten und ihrer
Bedeutung in der nationalsozialistischen Diktatur. Eine umfassende Analyse der faschistischen Filmpolitik ist im Rahmen ihrer Arbeit allerdings nicht möglich. Als Einblick in das Themenfeld und
vor allem für eingefleischte Beckett-Fans ist "Kraft der Melone" allerdings eine lohnende Lektüre.
Birgit Güll
Carola Veit: "Kraft der Melone. Samuel Beckett im Kino", Verbrecher Verlag, Berlin, 2009, 114 Seiten, 11 Euro, ISBN 987-3-940426-24-6
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Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.