Kultur

Mit Hip-Hop gegen Brauthandel: Wie die junge Afghanin Sonita kämpft

Eine Afghanin rappt gegen Brauthandel und kämpft für Mädchen- und Frauenrechte. Und sie macht sich auf, ein Star zu werden: Der Dokumentarfilm „Sonita“ zeigt, wie der Lebenstraum einer jungen Frau an dem Fundament einer ultrakonservativen Gesellschaft rührt.
von ohne Autor · 20. Mai 2016
Plötzlich mittendrin im Thema: Rapperin Sonita als verkaufte Braut
Plötzlich mittendrin im Thema: Rapperin Sonita als verkaufte Braut

Die Geschichte von Sonita Alizadeh ist Teil des millionenfachen Leids, das Krieg, Terror und Flucht seit knapp vier Jahrzehnten in Afghanistan hinterlassen haben. Und doch ist es ein ganz besonderer Lebensweg. Zugleich erleben wir, wie eine Dokumentarfilmerin vom ursprünglichen Konzept, allein die Realität abzubilden, abweicht und selbst ins Geschehen eingreift.

Mit Musik gegen Gewalt und Frauenhandel

Als Kind flüchtete die heute 18-Jährige mit ihrer Familie in den Iran. Am Ende bleibt Sonita ohne Eltern und Geschwister in einem Armenviertel von Teheran zurück. Mit der ihr eigenen Mischung aus Pragmatismus, Hartnäckigkeit und Lebensgier hat sie sich dort ein neues Leben aufgebaut. In einem Sozialzentrum lernt sie lesen und schreiben. Und auch, die Traumata aus dem brutalen Alltag ihrer Heimat zu verarbeiten. Etwas Geld verdient sie beim Putzen und Puppen nähen. Die Musik wird ihr Kraftzentrum: Sie schwärmt für Rihanna und Michael Jackson und will selbst die Musikwelt erobern. Am besten mit Hip-Hop: So kann sie ihre Botschaften gegen Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen und Zwangshochzeiten im Besonderen am direktesten loswerden.

Irgendwann wird die iranische Filmemacherin Rokhsareh Ghaem Maghami auf das rappende Flüchtlingsmädchen aufmerksam. Fortan begleitetet sie Sonita dabei, wie sie von Studio zu Studio tingelt, um einen Song aufzunehmen. Kein leichtes Unterfangen, denn nicht nur in Afghanistan, auch in Iran sind singende Frauen, gelinde gesagt, verpönt. Am Ende gelingt es ihr doch, ein Video „Brides for Sale“ („Bräute zu verkaufen“) zu produzieren und auf Youtube zu veröffentlichen, wo es rund 490.000 angeklickt wurde. Auch Talentsucher im Ausland werden auf den Track aufmerksam.

Kampf für Mädchen- und Frauenrechte

Anfangs ist der Brauthandel ein Thema, das viel mit der Kultur von Sonitas Geburtsland, aber wenig mit ihr persönlich zu tun hat. Doch plötzlich ist sie selbst unmittelbar betroffen: Ihr Bruder will sie verheiraten und sich mit dem Brautgeld selber eine Gemahlin „kaufen“. Immer mehr macht die Familie Druck, damit sie ihr Leben in Teheran – von ihrer Warte aus ein Paradies der Freiheit – aufgibt und zurück nach Afghanistan kommt.

Mit dieser Wendung nimmt die Dramaturgie Fahrt auf. Nunmehr wird deutlich, was für Sonita – ohnehin innerlich zerrissen zwischen der Liebe zur westlichen Popkultur und dem Kampf für Frauen- und Mädchenrechte auf der einen und der Verbundenheit zu ihrer Familie auf der anderen Seite – auf dem Spiel steht. Hoffnungsvolles und Bedrohliches liegen in diesem subtil erzählten und äußerst spannenden Drama, das beim Sundance Film Festival in den USA den großen Preis der Jury und den Zuschauer-Preis gewonnen hat, dicht beieinander.

Internationale Preise für lebensgefährliche Reise

Mit allen Mitteln versucht Sonita, im Iran zu bleiben, doch allzu hoffnungsvoll ist diese Perspektive nicht. Eher schon das Angebot aus den USA, sich auf einer angesehenen Highschool ausbilden zu lassen und so den Weg für ihren größten Traum zu ebnen. Doch um den Papierkram für das Visum zu erledigen, muss Sonita etwas tun, wonach sie sich jahrelang gesehnt haben mag, aber doch lieber gelassen hat: Sie muss nach Afghanistan reisen. War ihr Lebenstraum eben noch zum Greifen nah war, erscheint er nun unerreichbar: Trotzdem macht sie sich mit der Regisseurin auf nach Herat: in mehrfacher Hinsicht ein lebensgefährliches Unterfangen. Und: Kann sie ein Neuanfang in Amerika wirklich glücklich machen?

Der mit vielen internationalen Preisen ausgezeichneten Filmemacherin Rokhsareh Ghaem Maghami ist ein berührendes Porträt einer außergewöhnlichen jungen Frau gelungen, worin der Künstlerin wie auch der „privaten“ Sonita gebührend Raum geboten wird – sofern beide Erfahrungswelten überhaupt voneinander zu trennen sind. Nicht nur, aber auch angesichts eines Kontextes der Extreme. Bleibt nur die Hoffnung, dass Sonitas Beispiel Schule macht.
 

Info: Sonita (Deutschland/ Iran /Schweiz 2015), ein Film von Rokhsareh Ghaem Maghami, 91 Minuten, OmU. Ab 26. Mai im Kino

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