Ein Kurzschluss verdunkelt ein Moskauer Mietshaus: Der blinde Iwan Kowarski hört auf seinem batteriebetriebenen Rekorder eine Beethovensonate und weint an denselben Stellen wie immer.
Währenddessen stiehlt Schura das Boef Stroganoff ihrer Nachbarin aus der Gemeinschaftsküche und Alina flüchtet im Schutz der Dunkelheit von ihrem betrunkenen Mann zu ihrem Geliebten. Galina
Andrejewna zwingt der Stromausfall zur ersten untätigen Minute im "strengen Stundenplan ihres Lebens". In der dunklen Einsamkeit erträgt sie die scheinbare Ausweglosigkeit ihres Lebens nicht. Als
ihr Mann mit der schwerstbehinderten Tochter nach Hause kommt ist Galina tot.
In den wenigen Minuten passiert so viel. Ljudmila Ulitzkaja hält sie fest - gnadenlos genau, die Geschichten, die das Leben schreibt...
... und die Politik
Im Vordergrund ihrer Erzählungen stehen dabei nicht die politischen Ereignisse, sondern deren Einfluss auf das Leben von Menschen. So kommt Wassili als "beinloser Teufel" aus dem Krieg nach
Hause. Seine sechsjährige Tochter Nina hat nun einen "halben Vater". Nüchtern ist er nett, aber wenn er getrunken hat tyrannisiert und verprügelt er ihre Mutter. So legt Nina für alle Fälle ein
Messer bereit - "sie würde nicht zulassen, dass der Vater die Mutter umbrachte".
Stalins Säuberungen führen den jüdischen Schriftsteller Benjamin 1935 zurück zu seiner ersten Frau Frieda. Sie ist Jüdin, genau wie er. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau Alissa sucht er ihre
Unterstützung. "Und fortan lebten sie alle zusammen wie eine Familie." Benjamin stirbt an dem Tag, an welchem er verhaftet werden soll. Die beiden Witwen bleiben zusammen: "Alissa ... brauchte
Trost. Und Frieda brauchte jemanden den sie trösten konnte." Dann wird die Jüdin Frieda in ein Lager für Familienangehörige von Vaterlandsverrätern gesperrt: Angeblich sei ihr Bruder in eine
Verschwörung verstrickt. Alissa schickt Lebensmittelpakete dank derer Frieda überlebt. - Und sie wartet.
... und die Liebe
Bis dass der Tod euch scheidet, heißt es so schön während der Trauungszeremonie. Doch wer weiß schon, welches Schicksal ihn erwartet? Filipp aus der Erzählung "Iwan Zarewitsch" stirbt
alleine. Seine Frau ist nicht bei ihm. Er hat sie krankenhausreif geprügelt, obwohl er sie "mit der ganzen Kraft seiner bösen Seele" liebt. Aber schlimmer als die Tuberkulose an seiner Lungen,
"fraß an ihm die Wut auf die ganze Welt, auf alle, die weiterleben würden, wenn er selbst bereits tot war". Alla und Roman dagegen liebten einander ihr ganzes Leben. Schließlich sterben sie am
selben Tag: Und keiner der beiden erfährt vom Tod des Partners.
Liebevoll porträtiert Ljudmila Ulitzkaja die Menschen, deren Schicksale sie erzählt. So kurz viele Geschichten in "Maschas Glück" sind, beinhalten sie doch oft ganze Lebensläufe. Mit
scheinbarer Leichtigkeit bewegt die russische Schriftstellerin ihre Figuren und erreicht dabei unglaubliche Tiefe.
Birgit Güll
Ljudmila Ulitzkaja: "Maschas Glück". Hanser Verlag, 2007, 239 Seiten, 19,90 Euro , ISBN 978-3-446-20925-1
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