Kultur

„Midwives“: Wie zwei Frauen in Myanmar dem Hass trotzen

In der Militärdiktatur von Myanmar wird selbst Geburtshilfe zum subversiven Akt. Der Dokumentarfilm „Midwives“ zeigt, wie eine Hebamme und ihre Schülerin zur letzten Hoffnung einer verfolgten Minderheit werden.
von ohne Autor · 27. Januar 2023
Enge Beziehung unter extremen Bedingungen: die Hebamme Hla (links) und ihre Schülerin Nyo Nyo.
Enge Beziehung unter extremen Bedingungen: die Hebamme Hla (links) und ihre Schülerin Nyo Nyo.

Ein Kind wird geboren. Es ist ein Moment, der sich wie ein Wunder anfühlt. Erst recht, wenn die Welt ringsherum in Tod und Gewalt versinkt. So wie es in Myanmar immer wieder geschieht. Doch während dieser frühen Szene in „Midwives“ scheint der Konflikt, der im Hintergrund mitschwingt, weit weg zu sein.

Systematische Diskriminierung der Rohingya

Und doch könnte die Lage am Schauplatz der Geburt kaum dramatischer sein. 2016 begannen im Rakkhaing-Staat, einer Region im Westen des Landes, Kämpfe zwischen Rebell*innen und Armee. Daraufhin startete die Militärführung eine ethnische Säuberung an der dort beheimateten muslimischen Minderheit der Rohingya. Bis heute werden diese Menschen von der buddhistischen Mehrheit systematisch diskriminiert, verfolgt und vertrieben.

Die Vereinten Nationen sehen die Rohingya als weltweit am stärksten verfolgte Volksgruppe. Jüngst hat der Konflikt Deutschland erreicht: Eine Gruppe von Menschen aus Myanmar erstattete hier in dieser Woche Strafanzeige gegen die Junta. Sie werfen ihr Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

Einsatz mit hohem Risiko

Auch vor diesem Hintergrund ist jene Geburtsszene ein Wunder. Von offizieller Seite wird den recht- und nach Lesart des Regimes staatenlosen Rohingya jegliche medizinische Hilfe verwehrt. In dieser Geburtsklinik nahe der Kampfzone bekommen sie sie trotzdem. Für Hebamme Hla, die dem kleinen Jungen auf die Welt geholfen hat, ist es ein Wagnis. Die Behörden könnten sie der Unterstützung von Terrorist*innen bezichtigen. Zumal sie mit Nyo Nyo eine muslimische Hebammenschülerin beschäftigt.Trotzdem macht die resolute Klinikchefin weiter.

Aus dem abgeschotteten und zugleich im weltpolitischen Fokus stehende Myanmar erreichen uns derzeit kaum Bilder oder Nachrichten. Umso wertvoller sind die Eindrücke, die „Midwives“ möglich macht. Auch, weil sie wenig mit den Motiven zu tun haben, die wir wegen vergangener Fernsehbeiträge über Armeeparaden und Straßenunruhen im Kopf haben.

Sechs Jahre lang begleitete die Filmemacherin Snow Hnin Ei Hlaing den Alltag in Hlas kleiner Klinik in einem Dorf nahe ihrer Heimatstadt. „Ich weigerte mich, zu glauben, dass die Hassreden, die ich damals in den Medien hörte, die Realität widerspiegelten“, beschreibt sie die ursprüngliche Motivation für diesen Film über den Landstrich, wo sie aufwuchs. Auf der Suche nach Menschen, die Gräben überwinden, stieß sie auf Hla und Nyo Nyo.

Draußen toben Kämpfe

Wenn Hla und Nyo Nyo die völlig erschöpften Frauen versorgen, bleibt der Kamera nur sehr wenig verborgen. Geboten werden intime Szenen voller Ruhe und Lebenskraft. Und damit das totale Gegenprogramm zu dem, was außerhalb des umzäunten Grundstücks vor sich geht. Davon bekommen die Zuschauenden vor allem über Aufnahmen aus dem Staatsfernsehen etwas mit.

Direkt gegenüber lag zeitweise eine Polizeistation, dort patrouillierten Soldaten. An Dreharbeiten auf der Straße war nicht zu denken. Notgedrungen kommt „Midwives“ einem Kammerspiel nahe. Schon die Drehs in Hlas einfachem Holzbau waren riskant. Einige Szenen hielt Snow Hnin Ei Hlaing mit ihrem Smartphone fest. Umso beeindruckender ist der Umstand, dass die stimmige Bildsprache ohne große Brüche auskommt und das Langfilmdebüt der 38-Jährigen bei aller Orientierung am Realismus von einer hohen visuellen Intensität und viel Atmosphäre lebt.

Clash zwischen Milieus

Bei aller Solidarität kommen aber auch Konflikte zum Tragen. Zwischen den Bambuswänden kochen die Emotionen immer wieder hoch. Dann erreichen die Krisensymptome des südostasiatischen Landes diesen Ort, der für zahllose Familien zur letzten Hoffnung geworden ist. In den mitunter deftigen Dialogen zwischen Hla und den anderen zeigt sich aber auch ein Clash zwischen unterschiedlichen sozialen und kulturellen Milieus. Kurzum: Das Drama eines ganzen Landes wird auf engstem Raum erfahrbar.

Nyo Nyo zieht sich immer mehr zurück und macht sich daran, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Auch aus diesem Erzählstrang über die Emanzipation einer im Grunde Rechtlosen speist sich das große Moment der Hoffnung, das diesen unter anderem beim Sundance Film ausgezeichneten Film prägt.

Das zählt umso mehr, als insbesondere Myanmars muslimische Bürger*innen angesichts der endlosen Gewaltherrschaft durchaus die Hoffnung verlieren könnten. Am 1. Februar jährt sich der Putsch der Militärclique, die die frühere Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ins Gefängnis steckte, zum zweiten Mal. „Midwives“ ist mehr als bloß eine Einladung, sich die Vorgänge in dem Land in Erinnerung zu rufen. Der Film feiert das Leben und den Mut insbesondere der Frauen in einem feindseligen Kontext. Allein das macht ihn höchst brisant.

Info: Midwives (Myanmar, Deutschland, Kanada 2022), ein Film von Snow Hnin Ei Hlaing, 92 Minuten, OmU. Im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare