Kultur

Menschenjagd als Familienangelegenheit

Vater, Mutter und Kinder beten bei Tisch und ein Stockwerk drüber brüllen Geiseln in Todesangst: Das argentinische Drama „El Clan“ erzählt ein unglaubliches, aber auf Tatsachen beruhendes Kapitel aus der Spätzeit der Militärdiktatur.
von ohne Autor · 4. März 2016

Die Geschichte ging als „Fall Puccio“ in die Geschichte Argentiniens ein: Um die Familienkasse aufzubessern, entführt ein biederer Patriarch Menschen aus der Nachbarschaft und hält sie in seinem Haus gefangen. Hat er das Lösegeld kassiert, bringt er seine Opfer kaltblütig um. „El Clan“ schildert aber auch den schwierigen Übergang vom Militärregime zur Demokratie. Und damit auch die Langlebigkeit der Barbarei in dem südamerikanischen Land.

Ein nobler Vorort von Buenos Aires, Anfang der 1980er-Jahre. Die Fernsehnachrichten, die durch das Wohnzimmer von Archimedes Puccio dröhnen, lassen daran keinen Zweifel: Die Junta ist am Ende. Argentiniens Militärherrschaft war die blutigste in Südamerika. Rund 30.000 Menschen wurden ermordet oder verschwanden. Verhaftungen und Entführungen in aller Öffentlichkeit waren alltäglich. Puccio war einer der vielen, die für die Militärs die Drecksarbeit erledigten.

Irgendwann wurde daraus ein Geschäftsmodell. Daher denkt der Mittfünfziger auch gar nicht daran, mit der Menschenjagd aufzuhören, als sich der politische Wandel abzeichnet. Für ihn bleibt das Faustrecht das Vehikel für den Wohlstand der Familie. Und der soll stetig gemehrt werden. Daher packen alle mit an. Puccios kleiner Feinkostladen hätte kaum für das Eigenheim in der idyllischen Villensiedlung genügt. Und wie sonst hätte er es seinem Sohn Alejandro ermöglichen können, einen Surfladen zu eröffnen?

Pedantisch und berechnend

Dass hier gänzlich pervertierte Werte den Leitfaden für sämtliches Tun vorgeben, verdeutlicht der Film ebenso unbekümmert wie drastisch. Atemlos und wütend folgt man dieser Geschichte, die sich mancher Genre-Stilmittel, etwa aus Mafiafilmen, bedient, aber insgesamt eine eigene ästhetische Form für die Monstrosität findet. Nämlich ausgerechnet die eines Familienfilms, der die Allgegenwart und Despotie des Vaters von verschiedenen Blickwinkeln aus inszeniert.

Verbrechen und Familienalltag nebeneinander

Darüber hinaus treibt ihn auch das Ressentiment eines Kleinbürgers an, der es all den Bonzen draußen vor der Haustür zeigen will. Die übrigen Familienmitglieder versuchen, das Ganze zu verdrängen und im Schein der Normalität zu leben. Doch wie soll man sich den Braten schmecken lassen, wenn die Schreie aus dem Verlies bis in die Wohnküche schallen? Immer wieder schneidet Trapero das Verbrechen und den Alltag der Familie nebeneinander. Während eine der Geiseln ihrem Ende entgegengeht, genießt Puccios Sohn und Kompagnon Alejandro den Sex mit seiner neuen Freundin Monica im Auto.

Kann das alles wahr sein? Nach und nach kommen immer mehr Einzelheiten über die reale Verbrechensserie ans Licht. Auch, weil die Erinnerungen der Hinterbliebenen mit einflossen, wurden die Entführungen äußerst präzise inszeniert. Das, was sich innerhalb der Familie abspielt, beruht weitgehend auf der Interpretation des argentinischen Regisseurs Pablo Trapero. Dieser erhebt indes keinerlei dokumentarischen Anspruch. Ihm ging es darum, vor dem Hintergrund eines beispiellosen Verbrechens eine universelle Geschichte um Vater und Sohn zu erzählen, doch diesen Fokus behält der Film, der in Argentinien im Nu zum Kassenschlager wurde und im letzten Jahr bei den Filmfestspielen von Venedig den Silbernen Löwen für die beste Regie gewann, nur bedingt bei.

Der Traum vom eigenen Leben

Vielmehr werden die verschiedenen Verästelungen des mörderischen Familienbetriebs in der Gesellschaft untersucht. Ohnehin ist die Beziehung zwischen Archimedes und Alejandro nicht von den  Machenschaften des Seniors zu trennen. Anfangs unterstützt der angehende Rugby-Star ihn bei den Entführungen, ohne allerdings zu ahnen, dass die Gekidnappten des Todes sind. Zum Beispiel ein Spieler aus seiner Mannschaft. Alejandros Schuldgefühle wachsen, außerdem träumt er von einem neuen, eigenständigen Leben mit Monica – ein Schock für den Vater.

Man ahnt es: Mit der Verstimmung zwischen den beiden stehen künftige Coups unter keinem guten Stern. Aber auch die schützende Hand der Militärs währt, zumal nach dem Machtwechsel im Land, nicht ewig. Jemand wie Puccio lässt sich davon nicht beeindrucken, doch am Ende weist die (neue) Staatsmacht auch ihn in die Schranken. Im echten Leben wurden Archimedes und Alejandro Puccio zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Der Sohn starb vor acht Jahren nach mehreren Selbstmordversuchen. Sein Vater lebte bis 2013. Hinter Gittern studierte er Jura und bestritt bis zum Schluss, an den Taten beteiligt gewesen zu sein. Mag dieser auch gemeint haben, zu triumphieren: Seiner sterblichen Überreste wollte sich niemand annehmen. Was von ihm blieb, landete in einem anonymen Grab.

El Clan (Argentinien/Spanien 2015), ein Film von Pablo Trapero, mit Guillermo Francella, Peter Lanzani, Lili Popovich u.a., 108 Minuten

Jetzt im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare