Kultur

"Mein Leben war typisch, tragisch und schön"

von Ramon Schack · 20. Juni 2011
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Ihre Eltern träumten diesen Traum, der sich wenige Jahre später schon als Alptraum entlarven sollte, als eine totalitäre Herrschaft, wie sie die Welt bis dahin noch nicht erlebt hatte.

Es waren die Jahre von Stalins Aufstieg, dessen blutige Herrschaft, dessen Krieg gegen das eigene Volk Millionen Menschenleben kostete, darunter auch das ihres Vaters, der während der sogenannten "Großen Säuberung", als man die frühe Elite der Revolution physisch vernichtete, Opfer einer Massenerschießung wurde. Ihre Mutter wurde verbannt, für 17 lange Jahre.

Die junge Jelena Bonner wuchs ohne Eltern auf, in einer Zeit, die von der sowjetischen Schrifstellerin Nadeshda Mandelstam später einmal als "Das Jahrhundert der Wölfe" bezeichnet werden sollte, eine Epoche von Krieg und Gewaltherrschaft bisher unbekannten Ausmaßes. Vielleicht waren es diese frühen Erlebnisse, welche aus Jelena Bonner später eine Dissidentin machten, eine die nie Ruhe gab, die man nie zum Schweigen bringen konnte, weder durch Repressionen, noch durch Verbannung.

1972 heirate die Kinderärztin Bonner den Bürgerrechtler und Atomphysiker Andreij Sacharow. Dem Breschnew-Regime waren damals beide schon ein Dorn im Auge. Spätestens nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 war das Paar war sich einig, dass das Sowjetsystem nicht zu reformieren sei, sondern abgeschafft gehöre.

1975 wurde Sacharow mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Da ihr Ehemann mit einem Ausreiseverbot belegt wurde, nahm sie an seiner Stelle den Preis in Oslo entgegen. 1980 protestierte Sacharow gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, dafür verbannte man ihn in die Stadt Gorki. Jelena Bonner blieb in dieser Zeit an seiner Seite, knüpfte größtenteils heimlich mit Hilfe von Freunden Kontakte zur ausländischen Presse, schleuste seine Botschaften über die Grenze, bis man sie selbst in die Verbannung schickte.

Mit dem Amtsantritt Gorbatschows, dem Beginn der sogenannten Perestroika, begannen sich die Dinge zu wandeln. 1987 wurde das Ehepaar begnadigt, durfte nach Moskau zurückkehren. Sacharow starb im Schicksalsjahr 1989. Das Ende des Kalten Krieges, den Niedergang der Sowjetunion, begleitete Jelena Bonner als kritische Beobachterin und engagierte Menschenrechtlerin. Ihre Hoffnungen auf eine grundlegende Demokratisierung ihrer Heimat sollten sich nicht erfüllen.

Jelena Bonner wurde zu eine der schärfsten Kritikerin Wladimir Putins und des Krieges in Tschetschenien. Enttäuscht verließ sie Ihre Heimat und zog in die USA.
"Mein Leben war typisch, tragisch und schön", äußerte Frau Bonner vor einigen Jahren. Typisch für Sie war es, sich auch vom amerikanischen Exil aus zu Wort zu melden, zu kritisieren, die Verhältnisse in Russland zu analysieren, das Werk ihres Ehemannes fortzusetzen. Ruhe gab es für Jelena Bonner nicht, bis zum Schluss.
Am Samstag starb Jelena Bonner im Alter von 88 Jahren in Boston.

Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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