„Mein Kampf – gegen Rechts“: Von Auschwitz bis Pegida
Am Anfang sah er keinen Grund zur Sorge, sagt der 1924 in Polen geborene Mosche Dagan. Er dachte sich zunächst nichts, als Mitschüler ihn und seine Freunde wegen ihres jüdischen Glaubens hänselten. Eher „harmlos“ waren die Sprüche damals, erzählt er. Die groben Späße aber mündeten bald in eine Pogromstimmung, am Ende fand sich Mosche Dagan in einem Viehwagon wieder – auf dem Weg nach Auschwitz.
„Das Gefühl, anders zu sein“
In dem Buch „Mein Kampf – gegen Rechts“ erzählen Mosche Dagan und zehn weitere Protagonisten von ihren persönlichen Erfahrungen mit rechtem Gedankengut, mit grimmigen Neonazis, aber auch mit der rassistischen Diskriminierung durch ganz gewöhnliche Bürger.
Zum Beispiel José Paca, Träger des Bundesverdienstkreuzes, der 1989 aus Angola in die DDR kam: Die Leute „machten Affenlaute, wenn sie mich sahen“, schreibt er. „Heute drohen sie subtiler. Andere ziehen das Messer.“ Noch immer wird Paca von vielen als Mensch zweiter Klasse behandelt, oftmals auch direkt bedroht. Oder die MTV-Moderatorin Wana Limar, die 1990 in Kabul geboren wurde und über das „Gefühl, anders zu sein“ schreibt: „Ich frage mich, ob ein Mensch ohne Migrationshintergrund weiß, wie es sich anfühlt, anders behandelt zu werden, nur weil man eine andere Haut- oder Haarfarbe hat.“
Die Rassisten sind unter uns
Bei der Vorstellung des Buchs „Mein Kampf – gegen Rechts“ am Donnerstag in Berlin sagt Wana Limar, es sei „unfassbar“ wie „unaufgeklärt“ die meisten Menschen seien, wenn es um Alltagsrassismus geht. Selbst die gebildete Elite sei für das Thema kaum sensibilsiert, wie etwa der Professor, der Migranten jedes Verständnis für deutsche Geschichte abspricht, wie es Hernán D. Caro in seinem Beitrag beschreibt.
Auch mit deutschen Polizisten hat Caro – schwarze Haare, dunkler Teint – negative Erfahrungen gemacht. Er erzählt, wie er im bayerischen Wald alleine auf den Bus wartet und sofort von zwei Beamten kontrolliert wird. Als diese in seinen Ausweis blicken und sehen, dass Caro in Kolumbien geboren ist, sagt einer: „Sehen Sie? Da muss man ja an Drogen denken!“
Welche Rolle spielt die Polizei?
Der Herausgeber des Buches, der Vorsitzende des Vereins „Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland“, Uwe-Karsten Heye, geht bei der Buchpräsentation in Berlin mit den Sicherheitsbehörden hart ins Gericht. Wie könne es sein, fragt er, dass die Aufklärungsquote bei Brandanschlägen auf Asylheime gegen null tendiere. Wie sei es möglich, dass derzeit rund 170 Haftbefehle gegen gewalttätige Neonazis vorlägen, die Gesuchten sich aber der Verhaftung durch die Polizei entziehen könnten. Es stelle sich die Frage, ob die Sicherheitskräfte richtig darauf eingestellt seien, die Verfassung angemessen zu schützen, so der Vereinsvorsitzende.
„Fahrlässigkeit“ wirft Iris Berben, Unterstützerin von „Gesicht zeigen!“, der deutschen Politik vor. Seit der Neonazi-Welle in den 90er Jahren sei zu wenig passiert im Kampf gegen rechts, so die Schauspielerin. An die Politik richtete sich auch Heye mit Blick auf die scharfen Äußerungen der CSU in der Migrationsdebatte: Ob Formulierungen wie „Herrschaft des Unrechts“ anders als eine Aufforderung zur Gewalt zu verstehen seien, fragt Uwe-Karsten Heye.
Moralische Untergrenze statt Obergrenze
Statt einer Dikussion über eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen, wünscht sich der Dresdner Dramaturg Robert Koall eine moralische Untergrenze – diese würde aber von Pegida, AfD und Co. immer wieder unterschritten. Für „Gesicht zeigen!“ hat Koall die Dresdner Spaziergänge ein Jahr lang beobachtet. Niemand könne übersehen, dass bei Pegida Neonazis mitmarschierten, sagt Koall. „Ängste“ konnte er bei den Demonstranten nicht erkennen, so Koall, eher „Wut“ – und „bodenlose Doofheit ist auch dabei.“
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ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.