Massenmord und Schönheit
Zunächst muten die zu Beginn des Films gesprochenen Worte ungeheuerlich an. Doch die Zwickmühle, mit der dieser und viele andere Künstler (über-) lebten, könnte nicht treffender zusammengefasst werden. „Ich wage es kaum, es auszusprechen. Aber für einen Maler waren diese Reihen toter Körper wunderschön. Ich musste malen, was ich gesehen hatte, weil ich Künstler war.“
So beschrieb Zoran Music seine Erfahrungen im Konzentrationslager Dachau. Malen aus kreativem Antrieb heraus, um das Gesehene zu verarbeiten und selbst in Zeiten unvorstellbaren Leids einen individuellen Blick auf die Umgebung zu pflegen: So wie Music, der nach dem Zweiten Weltkrieg zum mehrfachen documenta-Teilnehmer avancierte, erging es vielen Künstlern in den Lagern der Nazis. Britische Historiker schätzen, dass zwischen 1933 und 1948 in sämtlichen Lagern und Ghettos Europas rund 100.000 Kunstwerke entstanden sind – meist unter Lebensgefahr. Rund 30.000 blieben für die Nachwelt erhalten.
Regisseur und Drehbuchautor Christophe Cognet konnte Music nicht mehr befragen. Der Maler und Grafiker, der in Dachau rund 200 Zeichnungen angefertigt hatte, verstarb 2005. Im gleichen Jahr wurden 35 dieser Zeichnungen in der dortigen Gedenkstätte ausgestellt. Und doch schwingen Musics Erfahrungen stets mit, wenn andere Künstler, die ebenfalls hinter Stacheldraht verschwunden waren, davon berichten, wie diese Zeit bis heute ihr Schaffen prägt. Dabei geht es immer wieder um die Frage: Kann oder darf das abgebildete oder auch das nackte Grauen schön sein?
Überleben gesichert
Dem objektiven Schrecken nur minimalen Raum gebend, blickt der französische Filmemacher tief ins düstere Herz der Hölle namens Alltag in Auschwitz, Sobibor oder Buchenwald. Er beschreibt, wie Erwachsene und Jugendliche durch Kunst ihren Überlebenswillen stärkten, um in einer Sphäre, wo Menschen zu Nummern – oder kurz nach ihrer Ankunft zu Asche – wurden, einen Rest von Individualität zu bewahren. Viele dieser Bilder und Zeichnungen wurden, um sie verschwinden zu lassen, in den Lagern zerstört und entstanden erneut als Kopie nach 1945.
Diesen Werken, welche zu wertvollen historischen Zeugnissen und Beweisen wurden, weil sie häufig zeigten, was auf keinem Foto zu sehen war, spürte Cognet in französischen, israelischen, polnischen und deutschen Archiven nach. Wenn die Kamera sie in ihren Fokus nimmt, versucht sie die individuellen Züge nachzuempfinden. Darüber hinaus sind einige Arbeiten zu sehen, die im Auftrag der Lagerführung entstanden waren. Als Kontrast bekommt der Zuschauer mitunter fast schon kontemplative Szenen von Holocaust-Gedenkstätten zu sehen, die durch Interviews mit den hochbetagten Künstlern ergänzt werden. So erhält der essayistische Zugang zum Thema ein erklärendes Moment: eine wenig dynamische, aber dafür unaufgeregte Erzählweise, die eine Balance aus Sachlichkeit und Empathie auszeichnet.
Ästhetisch im Gleichgewicht
Dabei lauern immer wieder Grenzerfahrungen. Zum Beispiel, wenn der Maler Walter Spitzer – er überlebte Auschwitz und Buchenwald – sein in den frühen 60er-Jahren entstandenes Gemälde vom Tod in der Gaskammer erklärt. In seinem Pariser Atelier demonstriert er die künstlerische Güte eines Frauenaktes, der aus der Perspektive einer SS-Wache in den verschiedenen Stadien der Vergasung abgebildet ist. „Warum ist dieser Frauenkörper so schön?“, will Cognet wissen. Für Walter Spitzer ist die Sache klar: Soll ein Kunstwerk eine Idee vermitteln, muss es ästhetisch „im Gleichgewicht“ sein. Die Schönheit sei der Schlüssel zum Erfolg eines Künstlers. Tragik und Schönheit in einem, das habe schon bei Francisco de Goya funktioniert.
Nicht weniger aufwühlend ist eine Zeichnung von dem in der Tschechoslowakei aufgewachsenen Jehuda Bacon. Sie lässt den übergroßen Kopf eines Mannes im Rauch eines Krematoriums aufgehen. Als Teenager verarbeitete Bacon damit die Ermordung des Vaters in Auschwitz-Birkenau. Die Bewältigung der Erlebnisse wurde für Bacon, der seine ganze Familie in den Lagern verlor, nach dem Krieg zum zentralen künstlerischen Antrieb. Einige seiner Bildnisse kamen im Prozess gegen Adolf Eichmann, den Organisator der Deportationen, zum Einsatz, in dem Bacon als Zeuge aussagte. Über sein Schaffen fand der 1929 geborene Künstler sogar die Kraft, sich für die deutsch-israelische Versöhnung einzusetzen.
Können diese so unterschiedlich gelagerten, aber durchweg vom Massenmord gezeichneten Werke schön sein? Diese Frage lässt sich, nachdem man mit den verschiedensten Standpunkten konfrontiert wurde, schwer beantworten. Zumindest öffnet dieser leise, bestürzende und doch hoffnungsvolle Film das Bewusstsein für eine im öffentlichen Raum unterrepräsentierte, aber bedeutsame Kunst.
Info:
Weil ich Künstler war (Parce que j`étais peintre, Frankreich / Deutschland 2013), ein Film von Christoph Cognet, Kamera: Nara Kéo Kosal, mit Yehuda Bacon, Walter Spitzer, Kristina Zaorska, Samuel Willenberg u.a., 105 Minuten, OmU
Ab sofort im Kino