„Marija“: Einsame Rebellin im Hexenkessel
Bernhard Keller
Träume können Flügel verleihen. Oder auch einen Panzer gegenüber missliebigen Mitmenschen. Beides gilt für Marija. Die junge Frau aus der Ukraine ist fest entschlossen, in Dortmund einen Friseursalon zu eröffnen. Dafür übernimmt sie schlecht bezahlte Drecksjobs, spart jeden Cent und lebt in einer schäbigen Wohnung. Als sie ihre Putzstelle im Hotel verliert, droht ihr Plan zu scheitern. Ihr Selbstbild steht auf dem Spiel: Marija geht es bei dem Salon nicht nur um die Erfüllung ihres Traums, sondern darum, wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen und selbst die Regeln ihres Alltags zu bestimmen. Viel zu lange schon ist sie abhängig von anderen.
Klare Hierarchie
Man kann nur erahnen, was sie in den letzten Jahren durchgemacht hat. Die Gegenwart ist ohnehin trist genug. Ihr Vermieter Cem nutzt ihre Situation schamlos aus und spannt sie dafür ein, Migranten aus Südosteuropa, die er ähnlich armselig und überteuert untergebracht hat, auszunehmen, indem sie für sie gegen astronomische Gebühren Behördenformulare ausfüllt. Cems Motto: „Ziehst du sie nicht ab, ziehen sie dich ab.“ Zu diesem Zeitpunkt hat Marija bereits eindrucksvoll bewiesen, wie weit sie geht, um über die Runden zu kommen. Doch dieser Job ist selbst für sie zu viel. In Cems Dunstkreis trifft sie auf den vorbestraften Bauunternehmer Georg, der sie prompt als Dolmetscherin und Assistentin anheuert. Georg ist nicht weniger windig als Cem, scheint Marija aber zumindest fair behandeln zu wollen. Und das Geld stimmt auch. Der Salon scheint zum Greifen nah. Als erneut alles auf der Kippe steht, muss sich Marija entscheiden, ob sie Georg hintergeht oder wieder einmal ganz von vorne anfängt.
Schauplatz der Geschichte ist die Dortmunder Nordstadt. Eines jener Großstadtquartiere, die in letzter Zeit als Sinnbild für sämtliche Probleme und Versäumnisse im Kontext von Zuwanderung und Integrationspolitik herhalten müssen. Medien haben das Viertel als No-Go-Area oder „Multiproblemviertel“ bezeichnet, wo kriminelle Libanesen, Bulgaren und Rumänen den Ton angeben und ihre Claims abgesteckt haben. Der Film zeigt eine Gesellschaft von Zuwanderern mit einer klaren Hierarchie. Anders gesagt: Die alteingesessenen Migranten nehmen die Neuankömmlinge, die aus ihrer Sicht weit unter ihnen stehen, aus. Marija will alles, nur nicht zum Bodensatz gehören. Andererseits lehnt die Uni-Absolventin die von Cem vorgelebte Ausbeutung und Despotie ab. Die Suche nach einem eigenen Weg zum Erfolg erweist sich als Gratwanderung, die ihr nicht nur einiges abverlangt, sondern auch ziemlich gefährlich werden kann.
Politisch aufgeladenes Thema
All das nagt sichtlich an Marija. Trotzdem tut sie alles, um Kurs zu halten. Und der weist klar nach vorne. Ein Blick zurück? Lieber nicht! Immer weiter muss es für sie auf dem Weg in Richtung Friseursalon gehen. Um das zu unterstreichen, ist immer wieder zu sehen, wie sie strammen Schrittes durch den sozialen Brennpunkt läuft. Aus Zuschauersicht bleibt dabei einiges auf der Strecke. Gerne hätte man mehr darüber erfahren, wer oder was sie einst gen Westen getrieben hat. Die wirtschaftliche Lage in dem krisengeschüttelten Staat spricht allerdings für sich. Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt zurzeit bei 206 Euro.
Kaum ein anderes Thema ist derzeit politisch so aufgeladen wie die Migration. Vor diesem Hintergrund fällt umso positiver auf, dass das Erstlingswerk von Regisseur Michael Koch (Jahrgang 1982) weder den erhobenen Zeigefinger braucht noch Sozialromantik aufkommen lässt. Eher ist ihm eine dokumentarisch gehaltenes Porträt gelungen, das weitaus mehr im Blick hat als seine Protagonistin. Die steht zwar klar im Mittelpunkt dieser ebenso spröden wie präzisen Erzählung, doch es geht auch um die dunklen Seiten unserer Gesellschaftsordnung. Marija öffnet dem Zuschauer Türen, die im wirklichen Leben meist verschlossen bleiben. Jahrelang hatte Koch in Dortmund-Nord recherchiert und Gespräche geführt, bevor er dort drehen und Anwohner in kleinen Rollen besetzen konnte. Diese Verankerung in der Realität macht diesen Film so packend.
Ein Rest von Geheimnis
Hinzu kommt, dass Hauptdarsteller Margarita Breitkreiz mit relativ wenig Text und zurückgenommenem Acting die Brüche ihrer Figur deutlich macht, ihr zugleich aber eine geheimnisvolle Aura belässt, die dazu beiträgt, dass die Handlung immer im Vagen und damit bis zum Schluss spannend bleibt.
INFO: „Marija“ (Deutschland/Schweiz 2016), ein Film von Michael Koch, mit Margarita Breitkreiz, Georg Friedrich, Olga Dinnikowa, Sarin Eryilmaz u.a., 101 Minuten
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