Kultur

Marcin Mroziński und sein "New Folk"

von Martin Schmidtner · 24. Mai 2010
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vorwärts.de: Hallo Marcin. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview genommen hast!

Marcin: Haben wir nicht wunderschöne Vornamen?

vorwaerts.de: Ja, haben wir.

Marcin: Es gibt so viele Marcins (dt.: Martin) in Polen. Es ist wunderbar Du triffst jemanden und sagst: "Hallo, ich heiße Marcin" (Martin). - "Hallo, ich auch".

Du singst Dein Lied zweisprachig in Polnisch und Englisch?

Ja, das Lied war von Anfang an zweisprachig konzipiert. Es gibt die folkloristischen Teile, polnische Folklore und die Teile mit Popmusik - die sind auf Englisch.

Uns gefällt der Folklore-Anteil des Liedes. Der ist sehr ausdrucksvoll.

Ja, sehr polnisch, sehr stark!

Wenn wir einfach mal über Stereotypen reden wollen, dann ist es ein sehr polnisches Lied - der Bezug auf Geschichte durch den Titel "Legenda", die Sehnsucht nach Liebe…?

Ja, es ist sehr polnisch. Wir wollten unsere Show, unser Lied bewusst sehr polnisch präsentieren. Seit Ewigkeiten hatten wir keine Gelegenheit, etwas ausgeprägt polnisches zu zeigen. Wir hatten sehr amerikanische Lieder, immer ein wenig "too much", immer der Versuch, eingängig zu sein. Das wollte ich ändern. Ich will Europa zeigen, dass Polen musikalische Traditionen hat, eine sehr spezielle Art von Musik, und auch traditionelle Kostüme.
Auf der Bühne haben wir jetzt zwei Frauen in polnischen Trachten. Ich will unsere Show so polnisch wie möglich gestalten, die Leute sollen sagen: "Ja, das ist polnisch, sehr, sehr polnisch. Oh, schau hin - das ist Polen."
Ich bin hier, um mein Land zu vertreten und auch so eine Art Werbung für Polen zu machen, denn Eurovision ist nicht nur ein Lieder-Wettbewerb. Darum will ich mein Land, Polen, auf genau diese Art und Weise präsentieren, mit der Musik.

Wie ist der Markt für die polnische Musikszene und polnische Musiker in Polen? Besteht großes Interesse? Gute Absatzmöglichkeiten? Oder werden vor allem ausländische Musiktitel gekauft?

Es ist sehr schwierig in Polen, immer noch. Nicht schwierig, eine CD oder ein Album aufzunehmen, aber schwierig, es zu verkaufen, weil die Leute im Allgemeinen….ja, eigentlich im Allgemeinen in ganz Europa und weltweit das Internet inzwischen als Gott haben. Dort können sie alles finden. So auch in Polen. Es werden nicht viele Alben verkauft, weil….naja, viele betrügen eben und holen sich alles im Internet.
Speziell in Polen ist es schwer, polnisches zu verkaufen, doch im Zusammenhang mit der Eurovision sehe ich in diesem Jahr einen starken Trend zur Veränderung im Denken der Menschen. Wir haben eine Menge getan, um die Eurovision den Leuten wieder näher zu bringen und die Menschen vertrauen uns. Darum ist es dieses Jahr wirklich in Ordnung, was den Markt für polnische Titel angeht

Du trittst ja im ersten Semifinale an. Erwartest Du Punkte aus Deutschland? Viele Punkte?

Ich denke, wir sind Nachbarn und unsere Länder haben eine gemeinsame Geschichte. Wenn die Menschen in Deutschland polnische Lieder mögen, ja, dann wäre es durchaus sehr, sehr nett, wenn wir auch Punkte von ihnen bekommen würden.
Aber ich habe keine speziellen Erwartungen. Ich bin hier, um so gut wie möglich zu singen und bei der Eurovision dabei zu sein und Polen bei der Eurovision zu präsentieren. Nicht um ständig zu denken: "Ich muss gewinnen! Ich brauche Punkte aus diesem oder jenen Land." Ich wäre natürlich sehr, sehr glücklich, wenn ich Punkte aus Deutschland bekommen würde.

Die polnischsprachigen Teile Deines Liedes sollen angeblich eine Art Dialekt sein, wurde uns gesagt?

Der Text ist von mir - und das war meine Art, an das Lied heranzugehen: Er hat so einen Art volkstümlichen Touch, die Sprache soll sich bewusst folkloristisch und sehr altertümlich anhören. Der Klang der Backgroundsängerinnen und auch der Dialekt hören sich wie aus dem Gebirge an.

Stammen auch die Kostüme von dort?

Nein, die Kostüme sind wirklich die bekanntesten polnischen Trachten und stammen aus dem Zentrum Polens (lacht), also auch hier wieder eine Mischung: Mischung aus Polnisch und Englisch, Mischung aus Pop und Folk, Mischung aus dem Zentrum Polens und dem Süden. Wir haben wirklich eine Menge vermischt in dem Lied. Ich finde es großartig, wenn man Dinge entdeckt, von denen man normalerweise denkt, sie würden nicht zusammen passen. Wenn man dann einfach versucht, die zusammen zu bringen, dannkann etwas Neues und Modernes entstehen. So etwas gibt es auch bei Kleidern oder in der Sprache: Leute versuchen, etwas traditionelles zu finden und es zu mischen mit...hmmm (überlegt)…also zum Beispiel bei Häusern: Jemand hat ein Haus, ein sehr modernes Haus, aber er benutzt - was weiß ich - beispielsweise ganz traditionelle Teppiche - das wird inzwischen "New Folk" genannt und es ist im Trend, diese "New Folk"-Mixes zu machen. Deshalb kann man mein Lied auch als "New Folk" bezeichnen.

Es gibt eine Menge Stereotypen in Polen über Deutschland und in Deutschland über Polen. Kannst Du uns drei polnische Eigenschaften nennen, die sich auch in polnischer Musik widerspiegeln?

Was die Musik angeht, so haben wir, wie Du in meinem Lied hören kannst, einen ganz typischen folkloristischen Klang, den es nur in Polen gibt und den wir auch in Texten finden. Wir haben wirklich sehr, sehr gute Sänger und Sängerinnen, die aber leider nicht zum ESC gehen wollen. Wir haben ja auch nicht viele Erfolge mit der Eurovision gehabt - und wenn die Sänger zurückkamen nach Polen, haben sie verschlossene Türen vorgefunden.
Anfangs hatte ich da auch Angst davor: Was würde passieren, wenn ich ein schlechtes Ergebnis habe, wenn ich es nicht ins Finale schaffe?! Aber inzwischen denke ich, dass es vor allem darauf ankommt, die Leute dem ESC gegenüber aufgeschlossener zu machen. Drum habe ich alles getan, um den Leuten klarzumachen, dass Eurovison kein schlechter oder beschissener - entschuldige bitte den Ausdruck - Wettbewerb ist.. Es handelt sich um den wichtigsten Musikwettbewerb in Europa und die Menschen in Polen haben das vergessen. Sie sagen: "Ich beachte ihn nicht"
Doch dieses Jahr könnte etwas Besonderes werden, denn noch nie wurde so viel über den ESC gesprochen wie in diesem Jahr. Darüber bin ich unheimlich froh!

Marcin, würdest Du uns noch drei Wörter über Lena und Satellite sagen?

Lena und Satellite? Sie ist so locker auf der Bühne. Ich liebe es: sie geht einfach auf die Bühne, singt, und es ist so leicht. Sie ist so…(schwingt lächelnd auf seinem Sessel hin und her)…ich kann es sehen, dass sie es genießt. Und das ist, denke ich, das wichtigste, dass man wirklich genießt, auf der Bühne zu sein. Sie denkt nicht: "Ich muss gewinnen". Sie ist so entspannt, was den Wettbewerb angeht. Und vor allem ist sie auch so hübsch, so "girly", so jung, so "girly".
Ich finde, die jungen Teilnehmeriinnen sind die Zukunft des Wettbewerbs - sie sind so relaxt und lächeln immer. Doch es gibt auch andere junge Teilnehmer aus anderen Ländern, die eine riesige Produktionsmaschinerie hinter sich haben und eine riesige Werbekampagne. Lena wirkt im Gegensatz zu denen glaubwürdig. - das ist wichtig: Du musst glaubwürdig sein.

Marcins Pressechef ergänzt: Ich darf hinzufügen, dass Marcin Lenas Song in seiner sehr populären polnischen Radiosendung vorgestellt hat.

Marcin:
Ich habe dafür zwei Lieder dieses Jahrgangs ausgesucht, die für Fans die beiden Favoriten sind. Das eine ist das von Lena, das so entspannt wirkt und das andere ist der Titel Aserbaidschans, das so gar nicht locker wirkt. Ich habe die beiden Songs vorgestellt, um zu untersuchen, welches Konzept aufgehen wird: Satellite aus Deutschland ist so leicht, so nett - der Song aus Aserbaidschan dagegen ist so fixiert auf den Sieg - aber wir werden sehen, was davon funktioniert und wer die höhere Platzierung erreichen wird.

Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Marcin, und viel Erfolg!

Das Gespräch führte Martin Schmidtner. Es wurde in Englisch geführt.


Marcin Mroziński wird mit seinem Lied "Legenda" am Dienstag für unser Nachbarland Polen im ersten Semifinale des Eurovision Song Contests an den Start gehen wird. Es ist die fünfzehnte ESC-Teilnahme Polens. Der 24-jährige Marcin Mroziński sammelte seine erste Fernseh-Erfahrung als achtjähriger, nahm in der Folge an etlichen Gesangswettbewerben teil und absolvierte 2009 die staatliche Aleksander-Zelwerowicz-Theater-Akademie in Warschau, die führende Schauspielschule Polens. Er sang unter anderem im Phantom der Oper, eine Musical-Erfahrung, die auch bei seinem Auftritt hier in Oslo deutlich zu sehen ist. Derzeit steht er in vier Theaterstücken auf der Bühne, arbeitet als Synchronsprecher in Filmen und hat eine in Polen populäre Radio-Show. Während des Gesprächs zeigt er sich ungeheuer engagiert - man merkt ihm seine Begeisterung für seinen Beruf, aber vor allem für den Eurovision-Song-Contest bei jedem Wort an.

Den Text zu "Legenda" hat er selbst geschrieben, die Musik stammt aus der Feder von Marcin Nierubiec."Legenda" ist eine sehr bildreiche und sinnschwere Geschichte über die Wirkungslosigkeit erzwungener Liebe.

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Martin Schmidtner

ist Blogger für kulturelle Events.

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