Männer, die die Welt erklären
„So, also. Ich habe gehört, Sie haben ein paar Bücher geschrieben?“ Die Frage wurde Rebecca Solnit auf einer Party 2003 vom Gastgeber gestellt – der offenbar keine Ahnung hatte, dass Solnit zu den bekanntesten und angesehendsten Essayisten der USA zählt. Solnit erwähnte daraufhin ihr damals aktuelles Buch „River of Shadows: Eadweard Muybridge and the Technological Wild West“. Weiter kam sie nicht, denn der Gastgeber wollte nun unbedingt über ein „ausgesprochen wichtiges Buch“ reden, welches im gleichen Jahr zu Muybridge erschienen war. Solnit brauchte ein wenig, um zu begreifen: Das war ihr Buch, von dem der Mann da sprach. Als Solnits Freundin es endlich schaffte, den Redefluss ihres Gegenübers zu unterbrechen und ihm mitzuteilen „Das ist ihr Buch“, stellte sich heraus, dass er das Buch gar nicht gelesen hatte, sondern nur aus Besprechungen kannte.
Frauen wird nicht zugehört
Rebecca Solnit schrieb die Episode 2008 auf, veröffentlichte sie erst als Blogbeitrag und 2014 in ihrer nun auf Deutsch vorliegenden Essaysammlung „Wenn Männer mir die Welt erklären“. Der titelgebende Essay schlug hohe Wellen und inspirierte sogar eine Wortneuschöpfung: mansplaining (zu deutsch etwa männerklären), eine Mischung aus man und explaining. Damit ist eine Situation gemeint, in der ein Mann einer Frau auf herablassende oder sogar bevormundende Weise etwas erklärt – obwohl die Frau sich thematisch eventuell sogar besser auskennt. Solnit selbst benutzt den Begriff in ihrem Essay nicht und sieht in eher kritisch („zu verallgemeinernd“).
Tatsächlich geht es Solnit um viel mehr als nur um besserwisserische Männer oder um eine einigermaßen amüsante Episode auf einer Party. Für sie ist mansplaining Ausdruck einer Kultur, in der Frauen nicht zugehört wird. Das macht es für sie schwierig, zu partizipieren, ihre Meinung zu sagen, respektiert zu werden.
Sich auf das Unbekannte einlassen
Vom mansplaining geht es nahtlos weiter zu sexueller Gewalt an Frauen, Solnit sieht hier ein Kontinuum. Verzweifelt fragt Solnit: „Was ist bloß mit den Männern los?“ Sie ist davon überzeugt, dass wieder über Männlichkeit und männliche Rollenbilder diskutiert werden muss, damit sich in der Gesellschaft nachhaltig etwas ändert. Viele Männer, so Solnit, seien bereits dabei, neue Vorstellungen und Ideale von Männlichkeit und Macht zu entwickeln: „Wir sind entweder gemeinsam frei oder gemeinsam unfrei.“
Solnits Ton ist nuanciert, klar. Verschnörkelte Formulierungen und Wortspiele sind ihre Sache nicht. Im Zweifelsfall wählt die Autorin lieber das Vage, Fragende, als die provokante These. Auf nahezu virtuose Weise drückt sich das aus im Essay „Woolfs Dunkelheit. Das Unerklärliche bejahen“. Hier sinniert Solnit über die woolfsche Feststellung: „Die Zukunft ist dunkel, was wohl das Beste ist, was die Zukunft sein kann.“ Ausgehend davon befürwortet Solnit, Unsicherheit zu akzeptieren, im übertragenen Sinne „die Orientierung zu verlieren“. Sich auf das Unbekannte einzulassen, sich der „Tyrannei des Quantifizierbaren“ zu widersetzen.
Ein Klassenkampf ist im Gange
Zu den schwächeren der sieben Essays gehört hingegen „Welten kollidieren in einer Luxussuite. Einige Gedanken zum IWF, zur globalen Ungerechtigkeit und zu einem Fremden in der U-Bahn“. Dass der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn ein Chauvinist und mutmaßlicher Vergewaltiger ist, ist bekannt. Außer der Erkenntnis, dass ein Klassenkampf im Gange sei und Menschenrechte dabei weniger wert seien als Wirtschaftspolitik, hat Rebecca Solnit der Debatte wenig hinzuzufügen.
Abgesehen davon stecken viele kluge und originelle Gedanken in diesem schmalen Buch. Wenn es auf den knapp 170 Seiten so etwas wie einen roten Faden gibt, dann ist es die Forderung nach Freiheit. Solnit sucht nach Wegen, sich als – weibliches – Individuum in der Gesellschaft zu behaupten, Raum einnehmen zu dürfen. Sie will sich mit dem Status quo nicht zufrieden geben. Über Virginia Woolf schreibt sie: „(Aber) ihr Ideal ist das einer Befreiung, die auch innerlich, emotional, intellektuell erfolgen muss.“ Es scheint, als könnte auch Rebecca Solnit mit diesem Ideal einiges anfangen.