Malu Dreyer und Ulrich Wickert: Heimat ist kein Begriff der Rechten
Für Montesquieu war die Situation klar. „Ich bin aus Notwendigkeit Mensch und aus Zufall Franzose“, sagte der Philosoph schon im 18. Jahrhundert. Für Ulrich Wickert ist die Aussage einer der zentralen Sätze seines neuen Buchs. „Identifiziert euch!“ heißt es und der Journalist beschreibt darin, „warum wir ein neues Heimatgefühl brauchen“.
Ulrich Wickert: Heimat ist ein Gefühl
Dabei ist das mit der Heimat für Wickert selbst keine so ganz einfache Sache. „Ich bin ein Zigeuner“, sagt Wickert am Samstag am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse. In Tokio wurde er geboren, in Frankreich studierte er, beruflich lebte er viele Jahre in den USA. „Heimat hat nichts mit einem Ort zu tun“, ist Wickert deshalb überzeugt. „Heimat ist mehr ein Gefühl.“ Dabei können auch Gerüche schon mal eine Rolle spielen: „Wenn ich frische Croissants oder Baguette rieche, fühle ich mich wohl“, bekennt der Frankreich-Fan.
„Die eine Heimat gibt es nicht“, findet auch Malu Dreyer. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und kommissarische SPD-Vorsitzende ist an diesem Vormittag Wickerts Gesprächspartnerin am vorwärts-Stand. Auch für Dreyer gehört eine „emotionale Verbundenheit immer dazu“.
„Heimat ist weder rechts noch links“
Die Folge: Der Heimatbegriff lässt sich politisch nicht verorten. „Heimat ist weder rechts noch links“, ist Ulrich Wickert überzeugt. Deshalb sei es schade, dass sie mehr und mehr zu einem Kampfbegriff der Rechten werde. „Franzosen können sich leichter mit ihrem Land identifizieren“, meint Wickert, „weil die die älteste Nation Europas sind“.
Trotzdem findet er es schade, dass es in Deutschland „so wenig Bekenntnis zur Gemeinschaft“ gibt. Die Folge sei, dass der Begriff von anderen besetzt werde. „Wir dürfen ‚Identität‘ und ‚Heimat‘ nicht den Rechten überlassen“, fordert Wickert. Deshalb habe er das Buch geschrieben.
Dreyer: Der Heimatbegriff wird gebraucht
„Rechtsextreme versuchen, den Heimatbegriff ideologisch zu instrumentalisieren“, beobachtet auch Malu Dreyer. Diese würden allerdings nicht danach suchen, was die Menschen verbindet, sondern versuchen, festzulegen, „was alles nicht Deutsch ist“ und Menschen so ausgrenzen. Für Dreyer ist deshalb klar: „Der Heimatbegriff und Identifikation mit Deutschland werden gebraucht.“
Wie diese geschaffen werden kann, da sind sich Wickert und Dreyer allerdings nicht einig. Während der Journalist dafür plädiert, einen „sozialen Pflichtdienst“ nach dem Abschluss der Schule einzuführen, setzt die Politikerin auf Überzeugung. „Die Menschen werden sozial nicht verantwortlicher, wenn wir sie zwingen, für ein Jahr im Altersheim zu arbeiten“, ist Malu Dreyer überzeugt. „Wir sollten sie lieber zu freiwilligem Engagement motivieren.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.