Kultur

Logbuch für politisches Denken

von Benjamin Mikfeld · 28. Februar 2014

Sprache hat entscheidenden Einfluss auf das Denken der Menschen. Das ist eine alte Erkenntnis der Psychologie. Doch welche Konsequenzen hat das für politische Prozesse? Ein Sammelband des "Denkwerks Demokratie" gibt Antworten.

"Hartz IV", "Euro-Krise", "Bürgerversicherung": Wer im politischen Geschehen Begriffe besetzt, nimmt damit immer auch Einfluss auf das politische Denken. Doch wie funktioniert das? Wie übt man Macht durch Sprache aus? Wie kann man politische Diskurse verstehen und führen? Was ist überhaupt ein Diskurs? Wie beeinflussen Diskurse den gesellschaftlichen Wandel, wie verhindern sie ihn? Und wie kann man damit die demokratische Willensbildung stärken?  Welche Rolle spielen Emotionen, Narrative und Mythen?

Fragen wie diese sind in den letzten Jahren wieder verstärkt ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Denn wo alte Gewissheiten kaum noch gelten, die wirtschaftlichen Entwicklungen komplexer und unverständlicher werden und die Parteien weniger über überzeugte „Truppen“ verfügen, gewinnt der Wettbewerb um Begriffe und Deutungen des politischen Geschehens an Bedeutung.

Rüstzeug für politisch Aktive

Die globalen Finanzkrise ist hier ein gutes Beispiel: Noch 2009 sprachen alle von der Schuld der Banken und der Finanzmärkte, der Kapitalismus sollte gezähmt werden. Doch ab 2010 wurde diese Krise zunehmend anders interpretiert: Schuld waren irgendwann die „Schuldenländer“ in der EU oder noch schlimmer: „die Griechen“. Die Interpretation einer solchen Entwicklung nennt man auch „Diskurs“.

Um politisch Aktiven und Interessierten Rüstzeug an die Hand zu geben, hat das Denkwerk Demokratie einen Sammelband mit dem Titel „Sprache. Macht. Denken. Politische Diskurse verstehen und führen.“ herausgegeben. Zu Wort kommen politische Praktiker, Politikberater und Wissenschaftler. Sie beleuchten die Kluft zwischen dem Denken von Eliten und Bürgern, die Rolle der Medien und die Bedeutung von verständlicher Sprache, Werten und „großen Erzählungen“ für die politische Kommunikation. So vielfältig diese Beiträge sind, so kann man zusammenfassend doch vier Gedanken herausstellen.

Ein Buch, vier Gedanken

Erstens: Politische Sprache und politische Begriffe sind nicht neutral. Sie lösen immer auch Deutungen und Emotionen in unseren Köpfen aus, die uns oft gar nicht bewusst sind. So weist die Linguistin Elisabeth Wehling darauf hin, dass der Begriff „Steuerbelastung“ eine problematische Wirkung entfaltet: Der Einzelne habe eine schwere Last zu tragen. Die Vorteile eines gut finanzierten Gemeinwesens werden aber nicht thematisiert.

Zweitens: Das „Besetzen“ von Begriffen alleine reicht aber nicht. In früheren Zeiten hatten zunächst die CDU und später auch die SPD so genannte „Semantik-Kommissionen“, in der sich kluge Leute überlegt haben, mit welchen Begriffen sie das Denken der Bürger beeinflussen konnten. Doch Sprache alleine bewirkt keinen Meinungsumschwung, dies wird in den Beiträgen zur Diskurstheorie z.B. von Martin Nonhoff oder Andrea Bührmann deutlich. So mag der Wirtschaftsliberalismus in seiner Blütezeit zwar auch davon gelebt haben, dass er mit einem bestimmten Verständnis von „Freiheit“ (als Marktfreiheit) verbunden war. Aber zu diesem Diskurs gehörte viel mehr als nur Sprache. Es wurde Wissen produziert, es wurden neue Institutionen und Strukturen geschaffen. Diese wirken bis heute fort und prägen unser Bewusstsein.

Das Denken der Eliten

Drittens: Was Eliten denken ist nicht gleichbedeutend mit dem Denken der normalen Bürgerinnen und Bürger. Mehrere Beiträge – so ein Interview mit Michael Vester oder Aufsätze von Thymian Bussemer und Herbert Hönigsberger - verweisen darauf, dass die Lebenswirklichkeit, die Sichtweise der breiten Bevölkerung eine Eigenständigkeit aufweist und auch eine gewisse Resistenz gegen die einfache Übernahme der Diskurse von Eliten hat. Damit stellt sich aber auch für fortschrittliche Politik die Frage: Sind wir nah genug dran an der Lebenswirklichkeit und der Sprache der Bevölkerung?

Viertens: Das Gewinnen von Deutungshoheit für fortschrittliche bzw. sozialdemokratische Politik erfordert Strategiefähigkeit und einen längerem Atem. Einige Analysen – so auch eine Fallstudie im Buch - bescheinigen eine konservative Meinungsführerschaft, nicht zuletzt in großen Teilen der Medien. Wenn das so ist, müssen fortschrittliche Kräfte in Deutschland gemeinsam strategiefähig werden, um eine andere Sicht der Dinge anzubieten und möglichst auch mehrheitsfähig zu machen. Keine Partei und keine zivilgesellschaftliche Organisation wird dies alleine lösen können.

Denkwerk Demokratie (Hg.): Sprache. Macht. Denken. Politische Diskurse verstehen und führen, Campus Verlag, 19,90 Euro, EAN 9783593500720

Das Buch wird am Montag, 3. März um 18 Uhr im "Grünen Salon" in der Berliner Volksbühne vorgestellt. Anmeldungen bitte an: info@denkwerk-demokratie.de

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