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Kultur

Literaturnobelpreis: Wer ist Swetlana Alixejewitsch?

Die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alixejewitsch erhält den diesjährigen Literaturnobelpreis – unter anderem „für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt“. Wer ist die couragierte Autorin, deren Bücher in ihrer Heimat nicht publiziert werden dürfen?
von Jörg Hafkemeyer · 08. October 2015
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„Swetlana Alexijewitsch hat ein literarisch wie menschlich einzigartiges Werk geschaffen. Ihre Bücher sind eine Chronik des homo sovieticus, für die sie ein eigenes, zwischen Belletristik und Dokumentation liegendes Genre geschaffen hat,“ meinte ihr Hanser-Verleger Karsten Kredel zur Nobelpreisverleihung und wies darauf hin, dass sich Alexijewitsch „menschlichen Stimmen, Erfahrungen und Schicksalen, die in den großen kollektiven Utopien keinen Platz haben“ widmet: „Diesen Stimmen, und damit dem Menschlichen selbst, verschafft sie in ihrem Werk einen literarischen Resonanzraum.“ Das trifft zu und doch ist es sehr viel mehr, was sie auszeichnet. Nachzulesen in ihrem 2013 erschienenen Buch „Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus", das ihr Opus Magnum ist.

Ebenso wie in „Tschernobyl – Eine Chronik der Zukunft“ hat Alexijewitsch ein Genre entwickelt, von dem sie vor vielen Jahren in Leipzig einmal selbst sagte: „Aus tausend Stimmen, Episoden unseres Alltags und Daseins, aus Worten und aus dem, was sich hinter ihnen und zwischen den Zeilen verbirgt, setze ich zusammen – nein, nicht eine Realität, sondern eine Vorstellung, ein Bild. (...) Ich setze das Bild meines Landes und seiner Menschen zusammen, die in meiner Zeit leben. Ich wünschte, aus meinen Büchern würde eine Art von Chronik werden, eine Enzyklopädie, die mehr als ein halbes Dutzend Generationen umfasst, deren Vertreter ich erlebt habe.“ Nun, ihr bisheriges Werk ist eine Chronik geworden. Einfühlsam und genau. Voller Zuneigung und Eindeutigkeit.

Schäfer-Gümbel: „Zarte und gleichermaßen starke Stimme“

Das betonte auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel, Vorsitzender des Kulturforums der SPD, in seinem Glückwunsch an Swetlana Alexijewitsch: „Sie ist eine zarte und gleichermaßen starke Stimme, die sich trotz politischen Drucks nie hat stumm schalten lassen. Sie lenkt mit der Literatur den Blick auf die zahlreichen „kleinen“ Schicksale in Osteuropa und zeigt im Detail auf,  wie wichtig Demokratie und Frieden für uns alle sind.“  Ihr Schreibstil sei einmal: eindringlich, persönlich und sensibel.

Alexijewitsch ist die Tochter einer Ukrainerin und eines Weißrussen. Drei Jahre nach dem Ende des  Zweiten Weltkriegs in der von der Wehrmacht verwüsteten Ukraine geboren. In Iwano Frankiwsk. In Minsk hat sie Journalismus studiert. Später zunächst als Lehrerin, dann als Reporterin und Redakteurin bei Zeitungen und Zeitschriften gearbeitet. Da gab es die Sowjetunion noch, den Eisernen Vorhang und 1989 war weit, weit entfernt. In diesem Imperium war sie, wie Millionen anderer Menschen auch, aufgewachsen, ausgebildet worden. Wer heute – ein Vierteljahrhundert nach seinem Zusammenbruch – Alexijewitschs Buch „Secondhand-Zeit“ zur Hand nimmt, liest über diese Generationen, die nach 1990 orientierungslos wurden, sich verirrten, unter die Räder kamen, am Ende des vergangenen, am Beginn des neuen Jahrhunderts.

Mehr als zwölf Jahre im Exil

Vor einigen Monaten, Im Frühjahr, war Alexijewitsch wieder einmal in Berlin. Eine stille, sehr aufmerksam zuhörende und zuschauende Frau mit einem zurückhaltenden Lächeln stand da im Foyer des Maxim-Gorki-Theaters. Sie war auf Einladung des Außenministeriums nach Berlin gekommen. Nicht das erste Mal. Mehr als zwölf Jahre hat sie in Schweden und in Deutschland im Exil gelebt. Sie arbeitet und wohnt wieder in Minsk. Das geht nicht ohne Konflikte mit den staatlichen weißrussischen Institutionen ab. Nein, verbittert oder verzagt sei sie nicht, meinte sie. „Manchmal ein bisschen erschöpft.“ Ein feines Lächeln steht in dem Gesicht dieser Autorin, die diese schwedische Auszeichnung für ihr literarisches Werk und ihren Mut sehr verdient hat.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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