Kein gutes Haar lässt Mitterrands Weggefährte Jospin an der, die er meist nur als "unsere", oder "die Kandidatin", wenn nicht gar "diese Person" bezeichnet. In nur einem Jahr hätten die
Sozialisten - so ihr langjähriger Vorsitzender - "eine im öffentlichen Leben zweitrangige Figur zum Hauptdarsteller auf die Bühne von Politik und Medien erhoben": Geschickt habe sie mit dem
Wahlsieg gelockt; unter dem Vorwand sei, "die zu diesem Sieg am wenigsten fähig war", zur Kandidatin geworden.
Dabei wäre Royal, so das Verdikt des ehemaligen Regierungschefs und Präsidentschaftskandidaten, weder für den Wahlsieg noch für das Staatspräsidentenamt "hinreichend ausgestattet" gewesen.
"Nicht, weil sie eine Frau war (sic!), sondern weil ich mir eine ziemlich genaue Vorstellung von ihren offenkundigen Vorzügen und ihren tatsächlichen Unzulänglichkeiten habe machen können." Vor der
Präsidentschaftswahl wären "ihre Orientierungen und ihre tatsächliche politische Kultur ein Rätsel" geblieben.
Ziel der Schmähkritik Jospins: "Diese Person hat weder die menschlichen noch die erforderli-chen politischen Fähigkeiten, um die Sozialistische Partei wieder in Schwung zu bringen, und zur
Hoffnung berechtigen, die nächste Präsidentschaftswahl zu gewinnen." Unterstehe sie sich, 2008 für den Parteivorsitz oder 2012 erneut für das Amt der Staatspräsidentin zu kandidieren!
Entsprechend heftig sind die Reaktionen vieler französischer Sozialisten, der Presse und vor allem der bei unseren Nachbarn massenhaft geschriebenen Blogs auf Jospins vernichtende Kritik:
ätzend und bösartig sei sie, altbacken, säuerlich und frustriert sei er, Maßlosigkeit, Zynismus, gallige Kritik und Verbitterung werden ihm bescheinigt.
Alte Wunden
Unübersehbar, von ihm auch mehrfach angesprochen, dass dem 1995 nur knapp geschlagenen Präsidentschaftskandidaten Jospin sein schmachvolles Durchfallen bei der Staatspräsidenten-wahl 2002
nach wie vor quer sitzt. Damals erreichte er - anders als jetzt Ségolène Royal - noch nicht einmal den zweiten Wahlgang, musste vielmehr den Platz in der Stichwahl ausgerechnet dem Rechtsradikalen
Le Pen überlassen, was Chirac für eine weitere Amtszeit rettete. Mit seinen Erklärungsversuchen, 2002 habe ihn die Kandidatenvielfalt der Linken aus dem Rennen geworfen, für Ségolène Royal seien
dagegen in diesem Jahr die Voraussetzungen bestens, der Sieg zum Greifen nahe gewesen, täuscht er sich darüber hinweg, dass er damals für die Linke eben nicht die Integrationskraft eines Mitterrand
besaß.
Kollateralschäden
Völlig unbeachtet lässt Jospin, dass der siegreiche Nicolas Sarkozy sich weite Teile der Wählerschaft Le Pens einverleibt hat, wogegen kein sozialistisches Kraut gewachsen ist. Überhaupt, um
dem Hexenprozess gegen "die Kandidatin" keinen Abbruch zu tun, wird Frank-reichs gegenwärtiger Staatspräsident, dem sie unterlegen, erst ab Seite 88 mit - verhaltener- Kritik bedacht. Dessen
Öffnung wären einige Sozialisten auch nur erlegen und hätten die Seite gewechselt, weil sie auf die Sozialistische Partei keine Hoffnung mehr setzten: ein weiterer Ségolène Royal anzukreidender
"Kollateralschaden". Den versprochenen Ausweg und die in der neuen politischen Landschaft einzuschlagenden Pfade bleibt das Buch weitgehend schuldig.
War man gewohnt, dass die meisten Spitzenpolitiker der PS - Männer des Apparates, den Ségolène Royal weitgehend ablehnte - sich darin gefielen, eigene Flügel bis zur Flugunfähig-keit des
Ganzen zu gründen, so deutet Jospin jetzt einen Generationenkonflikt an: Der "Ochsentour" der Älteren, ihrem Aufstieg über Parteiämter stünde eine neue Politikergeneration gegenüber, die ihren
politischen Anspruch aus Funktionen in Ministerien der Mitterrand-Zeit herleite, keinen richtigen Beruf ausgeübt habe, parteifern, unpolitisch und image-versessen sei.
Ob Lionel Jospin mit dem Buch seiner Partei einen Gefallen getan hat? Eher dürfte er sie erst so richtig in die Sackgasse geschrieben / getrieben haben. Sein gegen Ségolène Royal ins Feld
geführter Satz, es sei "ein schwerer Irrtum, … seine eigene politische Formation in Verruf zu bringen", gilt auch für sein Buch. Es unterstreicht, wie sehr der unitäre Schwung der Ära Mitterrand
endgültig verbraucht ist. In Europa geht das Warten auf eine starke französische PS weiter.
Karl-Udo Bigott
Der Verfasser übersetzt zurzeit Pierre Bezbakhs Geschichte des französischen Sozialismus, die 2008 als Vorwärts-Buch erscheinen wird.
Jospin, Lionel: L'Impasse. Flammarion (coll. Café Voltaire) 2007, 142 S., 12 €, ISBN 978-2081210011
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