1929 als unehelicher Sohn einer Religionslehrerin geboren. Der Vater, ein Puppenspieler, hatte sich schon vor der Geburt aus dem Staub gemacht. Mit einem unehelichen Kind konnte man - so
waren die Zeiten damals - nicht an einer Schule unterrichten. Die Mutter vertraute sich dem Theologen Karl Barth an, und der half ihr, das Kind für die ersten zwei Lebensjahre zu freundlichen
Menschen in Dortmund zu geben. Nach zwei Jahren hat sie ihren Sohn dann offiziell adoptiert und zu sich in das kleine Dorf an der Niederelbe, wo sie unterrichtete, geholt.
Die Mutter "hatte einen Zug zum Dichten", wie Rühmkorf in einem Gespräch mit der "Zeit" erzählte. "Immer, wenn mal ein Jubiläum oder Schulfest war, musste Fräulein Rühmkorf ran und dichten".
So lernte er früh, "dass Gedichte etwas mit Geselligkeit zu tun haben". Als Student in Hamburg war er ab 1951 Mitbegründer der "Neuen Studentenbühne" und des Kabaretts "Die Pestbeule".
In der von ihm mit seinem Freund Werner Riegel herausgegebenen hektographierten Zeitschrift "Zwischen den Kriegen" - Auflage 120 Stück - und später in "Konkret" polemisierte er gegen die
damalige Naturlyrik und ihre Dichter, die "Bewisperer von Gräsern und Nüssen", wie Gottfried Benn gallig spottete. Die Naturlyrik "wurde damals von allen betrieben, die schon in Goebbels' \'Reich\'
geschrieben hatten, von Wolfgang Weyrauch, Karl Krolow, Alfred Andersch, von Christa Rothzoll, Günter Eich und Georg Britting. Die haben zur NS-Zeit alle im "Reich" veröffentlicht. Der Leitartikel
war von Goebbels, und innen drin fand sich kein einziges politisches Wort. Das war ein Garten Eden, das innere "Reich": Ein Vorgartenbild. Und nach dem Krieg haben die Dichter so weitergemacht: Die
Blumen blühten wie jedes Jahr. Es gab Trümmerpoesie, ja. Aber da blieb es bei den Trümmern, man fragte nicht nach den Gründen. Dann kam Gottfried Benn als großer Schrittmacher dazwischen. Was für
Heine Goethe war, das war für uns Gottfried Benn", so Rühmkorf im Gespräch mit Franziska Augstein in der "Süddeutschen Zeitung" vom 28. Februar 2008.
Für "Konkret" hat Rühmkorf in der gleichen Zeit viele politische Artikel geschrieben, doch seine Poesie und die seiner Freunde sah er eher als "apokalyptisch-hedonistisch, sehr
untergangsgestimmt". So entschieden seine politischen Positionwar - links -, so oft er auch für die SPD in Wahlkämpfen getrommelt hat, einer platten Vereinnahmung entzog er sich beharrlich. Er
blieb ein freier Geist. Auch seine anfängliche Begeisterung für die 68er wich rasch großer Skepsis und Distanz, als die Bewegung zunehmend autoritär wurde und in tausende rivalisierende Fraktionen
zerfiel.
Brüder im Geiste
Benn und Brecht, Heine und Ringelnatz, Klopstock und Walther von der Vogelweide, Rühmkorf reihte sich bewusst in eine poetische Tradition ein. "Ich habe ja immer Neues versucht, zum Teil im
Rückgriff auf die Alten, indem ich parodistische Sachen gemacht habe, nicht als Vergackeierung der Alten, sondern um sie in ein ironisches, aber noch brauchbares Licht zu setzen", so in seinem
letzten Interview in der "Zeit". Gedichte werden nicht aus Worten gemacht, sondern aus Einfällen, widersprach er Gottfried Benn. Die sprachliche Präzision und Brillanz, mit der er aber dann diese
Einfälle zum Klingen, zum Funkeln, gleichsam zum Schweben bringt - Levitation ist einer seiner Schlüsselbegriffe - das zeigt seine unerreichte Meisterschaft.
Sterntaler und Werkstücke
Noch vor wenigen Wochen hat Rühmkorf sein letztes Buch herausgebracht. "Pardiesvogelschiß". Das Buch mit Gedichten, Aphorismen, Gedankensplittern, epigrammatischen Notaten und faksimilierten
Typoskriptseiten mit handschriftlichen Korrekturen gibt einen faszinierenden Einblick in die "Werkstatt" des Dichters, für den Dichten auch immer Handwerk war und "der an jedem Gedicht so lange
herumbastelt, als baute er den Hamburger Michel mit Streichhölzern nach", wie die "FAZ" schrieb. Das Eingangsgedicht, die "Ballade von den geschenkten Blättern", ist seine gereimte Poetologie: Aus
einem Paradiesvogelschiss und dem darin enthaltenen Kern erwächst ein Baum - aus einem Einfall ein Gedicht.
In dem "Zeit"-Gespräch erläutert er: "Ich merke sofort werkstattmäßig, wenn einer was hingebogen hat. Was dagegen direkt vom Himmel kommt, die guten Zeilen, die herabregnen wie Sterntaler,
erkennst du gleich. Wenn du ein Leben lang dabei bist, dann weißt du aber auch, dass das Selbstgemachte genauso gut aussehen muss wie das vom Himmel Gefallene." Auch gegenüber dem Tod behält
Rühmkorf, der bei der Fertigstellung des Buches schon schwer erkrankt ist, seinen "höheren Zynismus, mit dem Vanitas-Gefühl umzugehen," bei. So findet sich auch ein Grabspruch: "Schaut nicht so
bedeppert in diese Grube. / Nur immer rein in die gute Stube. / Paar Schaufeln Erde und wir haben / ein Jammertal hinter uns zugegraben."
Gegenüber der "Zeit" sagt er: "Das war nur so ein Gedanke, der mir durch den Kopf flitzte. Je näher das Ende rückt, desto schneidiger werden die Witze."
Jetzt ist Peter Rühmkorf im Alter von 78 Jahren gestorben.
ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.