„Lieber Thomas“: Ein Rebell zwischen Ost und West
Das Gefühl, nirgendwo so richtig dazuzugehören, wird Thomas Brasch wohl gut gekannt haben. In der DDR eckte der Autor schon als Student an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg ständig an. Sein erstes Stück „Steht auf dieses Land“ war da bereits verboten worden. Doch auch nach seiner Ausreise nach West-Berlin 1976 erfüllte Brasch nicht die Erwartungen. Schlechtes wollte er über die DDR trotz aller Schikanen – darunter Gefängnis und Zwangsarbeit in einem Transformatorenwerk – nicht sagen.
Nie so, wie andere ihn haben wollten
„Wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber“, heißt es in Braschs Stück „Der Papiertiger“ passenderweise. Im Film „Lieber Thomas“ wird der Satz eingeblendet. „Er wollte nie so sein, wie andere ihn haben wollten“, sagt Regisseur Andreas Kleinert über Brasch, der in der DDR zwar bekannt war, aber nicht verlegt wurde, von einem kleinen Gedichtband abgesehen. Zu Ruhm kam Brasch erst im Westen. Theaterstücke erschienen und wurden inszeniert. Brasch drehte Filme, schrieb Gedichtbände und natürlich sein wohl bekanntestes Buch „Vor den Vätern sterben die Söhne“.
Zu seinem eigenen Vater hatte Klaus Brasch ein Nicht-Verhältnis. 1947 ging der mit seiner Familie in die damalige Sowjetische Besatzungszone und stieg in der Vorstellung ein besseres Land aufzubauen zum stellvertretenden Kulturminister der DDR auf. Im Film wird er grandios von Jörg Schüttauf verkörpert. Seinen Sohn Thomas verriet er an die Polizei, nachdem der mit Freunden Flugblätter verteilt hatte, in denen sie die Niederschlagung des „Prager Frühling“ im August 1968 kritisierten.
Keine reine Biografie-Erzählung
„Seine Widerständigkeit ist inspirierend“, sagt Regisseur Kleinert über Thomas Brasch. Beide haben an derselben Filmhochschule studiert, Kleinert allerdings 20 Jahre später und mit der Möglichkeit, das Studium auch abzuschließen. Brasch dagegen flog. Die Verteilung der Flugblätter hatte das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Albrecht Schuch bringt den widerständigen Geist und das Pendeln zwischen Genie und Wahnsinn Braschs fulminant auf die Leinwand. Jella Haase gibt als Braschs große Liebe Katharina Talbach den kongenialen Gegenpart.
„Wir wollten keine Dichterbiografie machen, kein Biopic“, sagt Regisseur Kleinert über seinen Film. Der Plan ist aufgegangen. Zwar erzählen er und Drebuchautor Thomas Wendrich, der jahrelang über Brasch recherchiert hat, das Leben des Ausnahme-Autoren nach, doch hat der Film nie etwas rein Chronistisches. Auch dass er komplett in Schwarz-Weiß gehalten ist, hebt ihn auf eine höhere Ebene. „Lieber Thomas“ wird so zu einer passenden Ergänzung der bereits 2018 erschienenen Dokumentation „Familie Brasch“.
„Langweilig ist Thomas Brasch nie.“
Wenn Kleinert und Wendrich die Geschichte des Künstlers und Rebellen Thomas Brasch erzählen, erzählen sie gleichzeitig ein wichtiges Stück deutscher Zeitgeschichte mit. Erich Honnecker hat einen tragisch-komischen Kurzauftritt. Das heruntergekommene, aber heimelige Ost-Berlin wird dem glitzernden, aber oberflächlichen West-Berlin gegenübergestellt.
„Ein großes Anliegen ist es, mit dem Film das Bedürfnis im Zuschauer zu wecken, Thomas Brasch wieder zu lesen und zu entdecken“, beschreibt Drehbuchautor Thomas Wendrich seine Intention zu „Lieber Thomas“. Das ist gelungen. Denn, um es mit den Worten von Regisseur Andreas Kleiner zu sagen: „Langweilig ist Thomas Brasch nie.“
Lieber Thomas, Deutschland 2021, Regie: Andreas Kleinert, Drehbuch: Thomas Wendrich, mit: Albrecht Schuch, Jella Haase, Jörg Schüttauf, Anna Schneider u.v.a. Jetzt im Kino
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.