Der eine zählt zu den größten Stars der deutschen Fußballgeschichte: In den 1920er Jahren feierten die Fans Otto Fritz Harder als "Sturmtank", "Durchreißer" oder "Vollstrecker". Der
Mittelstürmer vom Hamburger SV gewann zweimal (1923, 1928) die Deutsche Meisterschaft, spielte 15 Mal für Deutschland und war so populär, dass sogar "Tull Harder-Cigaretten" verkauft wurden. Den
ehrenvollen Rufnamen "Tull" hatte sich Harder noch in seiner Heimat Braunschweig erworben; dort hatte der schwarze Mittelstürmer Walter Daniel Tull von den Tottenham Hotspurs 1910 die Zuschauer
bei einem Gastspiel verzückt.
Der andere ist heute nahezu vergessen: Johann Trollmann verzauberte die Experten zur gleichen Zeit mit seinem tänzerischen, unorthodoxen Boxstil. Der Mittelgewichtler aus Hannover, seit
Juni 1929 Profi, siegte am 9. Juni 1933 in Berlin im Kampf um die Deutsche Meisterschaft gegen den Kieler Adolf Witt - und wurde doch um diesen Sieg betrogen. Der Boxverband, bereits
gleichgeschaltet, wollte ihn nicht als Meister präsentieren, weil Trollmann Sinto war. Als solcher diskriminierte ihn der nationalistische "Box-Sport" schon 1932 als "Zigeuner-Boxer". Andere
Blätter nannten ihn verächtlich "Gipsy". Seine Familie rief ihn "Rukeli", von "Ruk". Das heißt auf Romanes: Baum.
Die Karriere beider Sportler war seit einem Jahrzehnt beendet, als sich südöstlich von Hamburg ihre Wege kreuzten: Im Konzentrationslager Neuengamme. Dort rang der Häftling Trollmann, der
1942 verhaftet worden ist, um sein Leben. Und Harder zählte zu seinen Bewachern; seit 1933 bereits war er Mitglied der berüchtigten SS. Als Trollmann im Winter 1942/43 der SS zur zynischen
Unterhaltung dient, indem SS-Schergen den ausgemergelten Boxer feixend zusammenschlagen, könnten sie sich persönlich begegnet haben. Der Anlass für den renommierten Autor Roger Repplinger, mit
dem Buch "Leg dich, Zigeuner" eine beklemmende und bedrückende Doppelbiographie zu schreiben.
Repplinger wertet nicht nur Gerichtsakten, wissenschaftliche Aufsätze und die Berichte der vielen Augenzeugen aus. Er baut auch viele fiktionale Elemente ein, lässt beispielsweise beide
Figuren sprechen, obwohl er keinerlei Belege dafür hat. Manch einer mag das anmaßend finden. Doch dieser Kunstgriff macht diese sehr deutsche Geschichte, die mit der Ermordung Trollmanns im KZ
und mit der Gefängnisstrafe des KZ-Lagerführers Harder endet, noch wesentlich eindringlicher. Lesenswert ist dieses herausragend erzählte Kapitel deutscher Sportgeschichte allemal. Ein
einfühlsames Buch, das unter die Haut geht. Und zum Besten zählt, was je zu diesem Thema geschrieben wurde.
Roger Repplinger, Leg dich, Zigeuner. Die Geschichte von Johann Trollmann und Tull Harder, Piper-Verlag, 377 Seiten, München 2008, 22,90 Euro.