Kultur

Lebensunternehmen Schule

von Dagmar Günther · 1. April 2011
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Sie wagte sich in die Höhle des Löwen, dahin, wo (warum eigentlich?) Schüler viel zu selten gelangen, ins Lehrerzimmer! Sie wollte verstehen, warum Schule in Deutschland so oft versagt. Die Politikwissenschaftlerin und Germanistin Inge Faltin absolvierte ein Referendariat und wurde Lehrerin. Ein erhellender Selbstversuch.

Wie viele Eltern hatten Inge und Klaus-Peter Faltin die schulische Entwicklung ihres Sohnes Daniel „mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Wut“ mitverfolgt. Was ging da eigentlich ab in der Schule bzw. ging eben nicht ab? War es eine Art Glücksspiel, an einen Lehrer zu gelangen, der wirkliches Interesse an seinem Schüler hatte? Ging es in erster Linie darum, diesem möglichst viele Wissen mit unterschiedlichsten Methoden „einzutrichtern“? Nach welchem Prinzip wurden eigentlich die Noten vergeben?

Sieben Siegel

Während der Schulzeit von Daniel blieb Schule für die Eltern ein Buch mit sieben Siegeln. Deshalb beschloss Inge Faltin, die bis dato an politikwissenschaftlichen Forschungsprojekten mitgearbeitet hatte, selbst herauszufinden, wo es hakte. Sie absolvierte eine Referendariat und unterrichtete zehn Jahre lang an verschiedenen Schulen. Was sie bei diesem Selbstversuch erlebte, hat sie mit einfachen Worten für jedermann nachvollziehbar aufgeschrieben.

Wer das Buch liest, weiß so manches Mal nicht, ob er lachen oder heulen soll. Beispielsweise wenn Inge Faltin über ihr Referendariat berichtet. Hier werden junge Menschen zurechtgebogen – mit Hilfe von Hierarchien und zu befolgenden Pädagogikkonzepten. Wer ausschert, bekommt schlechte Noten. Die aber sind die Grundlage für den späteren Einsatz und die mögliche Verbeamtung. Schon hier werden „mit einer Haltung, die Erich Fromm die ‚Furcht vor der Freiheit’ nennt, die Weichen falsch gestellt.“ Wenn das System Schule nachhaltig verändert werden soll, müsse bei der Auswahl und Ausbildung der Lehrer begonnen werden.

Lehrer müssten in die Lage versetzt werden, „ Mentor und ‚leitende Kraft’ zu sein
und gleichzeitig dem Wachstumsprozess der Schüler zu dienen, die vorhandene Verhaltensmuster ablösen müssen“. Diese Kompetenzen, fordert Inge Faltin zu recht, „müssen die Grundlage der Vermittlung von Lehrstoff ebenso wie der individuellen Förderung von Schülern sein. Die Lehrer-Schüler-Beziehung muss verändert werden“.

Sieben Thesen

Zur nachhaltigen Veränderung dieser Beziehung stellt sie sieben Thesen auf. Die klingen so plausibel. Und sind doch das Einfache, das so schwer zu machen ist. Inge Faltin hat jede Einzelne durchlebt. Hat manches Mal auch ans Aufhören gedacht, wenn sie „wütend oder verzweifelt war“. Was sie rettete war (schon im Referendariat) ihr „Erkenntnisinteresse und die Tatsache, Prozesse der Reifung, des Erwachsenwerdens aus Lehrersicht mit zu erleben und fördern zu können“.

 Und so legt sie jedem Lehrer ans Herz:

  1. Bei sich selbst beginnen. Man könne jungen Leuten nicht etwas abverlangen, das man nicht selbst verkörpert und vorlebt.
  2. Die eigenen Persönlichkeit entwickeln. Ein Lehrer müsse authentisch sein, glaubwürdig in Motivation und Verhalten.
  3. Vorbild sein!
  4. Andere inspirieren. Das heiße selbst kreativ und somit in der Lage zu sein, die Schüler ihren eigenen Weg finden und gehen zu lassen.
  5. Aus dem Weg gehen! Der Lehrer sei zwar „leitende Kraft“, doch ihren individuellen Weg müssten Schüler allein gehen.
  6. Mit Niederlagen umgehen!
  7. Sich am Endes des Wachstumsprozesses als Autorität überflüssig machen.

Ein Fazit

Inge Faltin stellt einiges in Frage: darunter, das Referendariat,  den Beamtenstatus und die Unkündbarkeit von Lehrern. Sie plädiert für mehr Quereinsteiger und mehr Eigenverantwortung. Es reiche nicht, den Lehrplan abzuarbeiten, man müsse Schule führen wie ein Lebensunternehmen, das innovative, kreative und schöpferischen Menschen hervorbringt. Dem stimmt auch Prof. Günter Faltin, der Erfinder der Teekampagne und Verfechter des Entrepreneurship, einer neuen Kultur des Unternehmerischen, als zentrales Bildungsziel im Interview am Ende des Buches zu. Ein ehrgeiziges Ziel. Doch mit Educational Entrepreneurship auch an staatlichen Schulen sollte es erreichbar sein.

Wenn es gelingt Schule derart zu verändern, wird kein Schüler seine Schulzeit mehr so beschreiben müssen, wie es Daniel Faltin eingangs tut:“ Die deutsche Schule hat viele Jahre meiner Jugend belastet – und es brauchte weitere Jahre, um mich von dieser Erfahrung zu erholen.“ Er habe sich gewundert, weil sich gegenüber seiner „eigenen Schulzeit so wenig geändert hat. Immer noch steht ein Lehrer / eine Lehrerin vor einer viel zu großen Klasse und versucht, im Dreiviertelstundentakt den vom Lehrplan vorgeschriebenen Stoff zu vermitteln. Schüler, die einen anderen Zugang zum Lernen haben, also von der Norm abweichen, haben einen schweren Stand“. Auch Lehrer, leider, wie Inge Faltin feststellen muss..

Das Buch von Inge und Daniel Faltin sei allen empfohlen, die mit Schule zu tun haben und die sie verändern wollen.

Inge Faltin, Daniel Faltin: "Schule versagt. Warum Bildung ein Glücksspiel ist und wie sich das ändern kann", Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011, 300 Seiten , 14,90 Euro, ISBN 978-3423248358

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Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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