Kultur

"Lass und einfach weitermachen"

von Karsten Wiedemann · 17. Oktober 2006
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v orwärts: Benjamin Lebert, das ist der "Sound der Einsamkeit", war in einem Internetforum zu ihrem neuen Buch "Kannst Du" zu lesen. Was sagen Sie dazu?

Benjamin Lebert: Ich glaube nicht, dass es einen Sound der Einsamkeit gibt, sondern dass sich Einsamkeit mehr wie Termiten an den Wänden breit macht und an vielen Stellen zu Tage treten kann. Im besten Fall ist es mir gelungen, ein Gesamtbild meiner Einsamkeit, der Einsamkeit dieser Person zu schildern. Ich weiß aber nicht, ob es für sämtliche Einsamkeit spricht.

Sind wir Menschen denn wirklich alle allein, wie Sie es einmal in einem Interview formuliert haben?

Zumindest kommt es mir so vor. Ich glaube nicht, dass wir wirklich mit einem anderen Menschen zusammen einen langen Weg gehen können. Ich glaube natürlich schon, dass wir alle irgendwie zusammengehörig sind, aber uns ist es nur ermöglicht durch dieses Leben allein zu gehen.

Ist das nicht deprimierend?



Es ist die einzige Chance, das Ganze zu erkennen, glaube ich. Wenn etwas Zusammengehöriges gäbe, nennen wir es Gott, und ansonsten nichts, dann wüsste es nicht, dass es existiert, weil es nichts gäbe, woran es sich messen könnte, keinen Spiegel, keine anderen Dinge. Indem es sich aufspaltet in 20 Milliarden verschiedene kleine Dinge, ist es möglich, dass jedes kleine Ding für sich das Ganze sieht und erfährt. Das sage ich mir immer und das hilft mir.

"Ich glaube, dass es einen Sinn macht, dass wir hier sind."



Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Ich bin schon ein gläubiger Mensch, aber keiner, der seinen Glauben in einer Kirche manifestieren muss. Ich glaube, dass es einen Sinn macht, dass wir hier sind.

In einer Rezension war zu lesen, dass das Buch die "Problematik der heutigen Zeit" behandelt. Was macht die aus?

Ich kann durch meine Augen nicht die ganze Problematik der heutigen Zeit einfangen kann. Im besten Fall kann ich die Problematiken einfangen, die in meinem Umfeld geschehen.

Da ist es so, dass die Menschen, die ich kenne, die jungen Menschen, sich an überhaupt nichts festhalten können. Sie können sich auch an nichts abarbeiten. Die Generationen davor konnten sich an den Eltern, am Krieg oder an den Hippies abbarbeiten. Das fällt jetzt weg. Das ist alles nur ein einziger Bilderstrom, in dem alle rumschwimmen und alle wollen alles gleichzeitig aufnehmen und gleichzeitig überall sein.

"Zu viele Möglichkeiten lähmen"



Ist es einfach so, dass die junge Generation zu viele Möglichkeiten hat?



Ja, wenn man es pauschalisieren kann, dann schon. Es ist so, wie wenn man von einem Hügel aus eine riesige Welle ansieht, die über ein Land schwappt, also eine 30 Meter hohe Welle. So scheinen die Möglichkeiten zu sein. Und da steht man natürlich dann nur gelähmt da.

Das Absurde ist, dass uns immer das Gefühl gegeben wird, dass die Welt so nah beieinander ist, wie sie noch nie war. In gewisser Hinsicht stimmt das auch, aber die Entfernungen sind noch immer dieselben. Christoph Ranzmeier hat das mal geschrieben in seinem Buch "Die Schrecken des Eises und der Finsternis", dass wir nicht vergessen sollten, dass wir immer noch Fußgänger sind und dass die Welt noch genauso weit entfernt ist. Es tun sich eben überall Löcher auf, in die man reinfallen kann.

Wenn ein Gemeinschaftsgefühl da ist, dann ist das nur so eine herumstreunende Meute, die total verzweifelt ist, wie wenn sie in einem Labyrinth rumlaufen würde. Und obwohl es so viele Möglichkeiten gibt, tut sich dann auch wieder das Loch auf, dass es eben eine große Arbeitslosigkeit gibt, dass die Entscheidung, sich richtig zu orientieren im Leben, noch schlimmer wird, weil überall Gefahren lauerns.

Und dann haben alle diese weit aufgerissenen Augen, diese suchenden Augen und wissen nicht, wo sie sich hinwenden sollen.

"Kannst Du" endet mit dem Satz: "Lass und einfach so weitermachen." Bezogen auf die beiden Protagonisten in "Kannst Du", ist das eher hoffnungslos oder hoffnungsvoll zu verstehen?

Beides. Es ist ein bisschen zynisch, aber nicht nur. Ich glaube, dass alles immer weitergehen muss und auch wird. Das ganze Prinzip des Lebens ist eine einzige Bewegung. Insofern kann man nichts anderes tun als sich dem ergeben.

Mittlerweile wird ihr erster Roman "Crazy" in der Schule gelesen. Freut man sich darüber oder empfinden Sie das als Vernatwortung?

Also, ich schrecke nicht vor der Verantwortung zurück, aber ich finde es furchtbar, dass Schüler das Buch lesen müssen, weil ich selbst das Auseinandernehmen von Lektüren in der Schule schlimm fand. Für mich ist die Vorstellung ganz furchtbar, dass man das Gefühl zu dem jeweiligen Werk aufschreibenmuss, und dann benotet wird.

Sie sind Mitglied in der "Gruppe 05" um Günter Grass. Warum?



Das Literarische steht da im Vordergrund. Es ist eigentlich mehr ein Werkstattgespräch. Man setzt sich zusammen arbeitet mit den Texten, die man zustande gebracht hat oder nicht zustande gebracht hat. Und das Gute ist, wenn man sich politisch äußern will, hat man zusammen eine größere, eine festere Stimme.

"Kann mann kein politischer Mensch sein?"

Sind Sie ein politischer Mensch?



Kann man denn ein unpolitischer Mensch sein? Wie soll das gehen? Wenn man sich nicht für Politik interessiert, dann ist man auch irgendwie politisch auf eine Weise. Ich bin schon ein politischer Mensch, mag aber das politische Tagesgeschehen nicht.

Es ist nicht so, dass ich mir zum Beispiel alle Artikel über die Haushaltsdebatten durchlese. Aber wenn es irgendwo zu einem Kern kommt, wo etwas wirklich Menschliches zutage tritt, sei es in Kriegsentscheidungen oder Länderentscheidungen oder Menschenrechtsentscheidungen, dann ist es für mich spannend.

Mischen Sie sich denn in irgendeiner Art und Weise politisch ein?

Na ja, also, ich rede natürlich mit Leuten in meinem Umfeld über politische Fragen und das politische Geschehen.

Sollten Autoren sich politisch einmischen?

Ich glaube, dass der ganze Antrieb des Schreibens eigentlich nur darin besteht, etwas zu verändern, das heißt, im eigenen Leben oder im Leben der anderen. Ich glaube wirklich, wenn man ein Buch liest, dass man danach nicht mehr der Gleiche ist. Entweder hat man Dinge aufgenommen für sich, oder man hat sich abgegrenzt, hat seinen Standpunkt klarer gemacht, weil man mit diesem Standpunkt des Autors nichts anfangen konnte. Aber trotz allem ist man dann ein anderer Mensch.

Es herrscht, gerade bei den Jüngeren, ein großes politisches Desinteresse. Woran, glauben Sie, liegt das?

Ich kann schwer alle Gründe aufzählen. Ich glaube einfach, dass es daran liegt, dass so viel auf die Menschen einstürmt von allen Seiten und sie ständig irgendwie - ich würde fast sagen - attackiert werden von Dingen, von Bildern und vielen Menschen, dass sie sich ganz schwer sich für eine Sache oder Partei entscheiden können

"Wenn ich wieder schreibe, wird sich zeigen, worüber."

Können Sie sich vorstellen, auch ein politisches Buch zu schreiben und kein autobiographisches?

Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Ich würde mich sowieso - glaube ich - nie hinsetzen und sagen, ich schreibe jetzt ein politisches Buch oder ich schreibe jetzt ein Buch über Liebe, sondern das ergibt sich irgendwie anhand der Geschichte. Wenn ich wieder schreibe, wird sich zeigen, worüber.

Interview: Karsten Wiedemann

Autor*in
Karsten Wiedemann

Redakteur bei vorwaerts.de bis September 2009, jetzt Redakteur bei Neue Energie, dem Magazin des Bundesverbands für Windenergie

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