Kultur

Künstlerische Grenzverschiebungen

von Die Redaktion · 15. September 2006
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Für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) ist Kultur ein wichtiges Thema. Deshalb freue es ihn, dass das Thema mittlerweile auch in der Bundespolitik eine Rolle spiele. "Rot-Grün hat die Deutsche Kulturstiftung ins Leben gerufen. Und im Koalitionsvertrag der Großen Koalition heißt es wortwörtlich: 'Kulturförderung ist eine Investition in die Zukunft'", sagte Thierse. Allerdings gebe es derzeit kulturelle Akzentverschiebungen. Fest gefügte Kulturbegriffe seien ins Wanken geraten.

Dieser Wandel wird von drei Kulturexperten bestätigt. "Kultur ändert sich, sie kann nie statisch betrachtet werden", erklärte der Politologe Jan Turowski. Insbesondere die Dienstleistungsgesellschaft habe das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft neu bestimmt. "Die Grenzen zwischen Gesellschaft, Kultur und Ökonomie verschieben sich", so Turowski. Der Politologe sieht die Gefahr, dass Kultur den öffentlichen Händen durch Ökonomisierung und Privatisierung völlig entgleitet. Auch der Kulturwissenschaftler Alexander Koch nimmt eine Veränderung der Kultur wahr. Kultur sei mehr als ästhetische Praxis. "Kultur ist auch Teilhabe. Gesellschaftliche Teilhabe", erklärte Koch. "Mit der Radikalität des wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Umbruchs und der Krise der Sozialsysteme hat sich auch die Kultur gewandelt", meinte der Musikproduzent Tim Renner ("Rammstein", "Sportfreunde Stiller").

Mehrere Gäste sehen diesen Umbruch vor allem in Ostdeutschland. In den neuen Bundesländern habe der demografische Wandel schon voll eingesetzt. Mit der Abwanderung der jungen Generation und der bürgerlichen Schichten habe sich die Kultur wandeln müssen. "In Ostdeutschland ist die Kultur offener geworden", beschrieb ein Teilnehmer seine Beobachtungen.

Für einen anderen werden Kunst und Kultur hierzulande immer noch zu sehr als Nebensächlichkeiten gesehen. "Sie können aber angesichts der Veränderungen der Welt zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor werden", betonte er. Dass dies in einigen europäischen Ländern schon der Fall ist, zeigte er am Beispiel Großbritannien auf. Hier seien bereits zehn Prozent der Arbeitsplätze im Bereich "Creative Industries" angesiedelt.

Kreativität ist für den Juso-Bundesvorsitzenden Björn Böhning ein wichtiges Stichwort. "Kunst, Kultur und Politik stehen vor ganz ähnlichen Herausforderungen", sagte er. Die Frage sei, wie man gemeinsam Kreativität entwickeln könne.

In Deutschland fühlen sich junge Künstler vom Staat vernachlässigt. So beklagten sich anwesende Kleinkünstler darüber, von der Politik zu wenig anerkannt und gefördert zu werden. Monika Griefahn, die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, räumte daraufhin ein, dass die Kultur eine stärkere Lobby brauche. Dieser Meinung ist auch ihr Kollege Siggi Ehrmann. "Der Druck der Künstler ist notwendig, damit sich die Kulturpolitiker für die Belange der Künstler stark machen können", erklärte der SPD-Politiker. Ehrmann gehört auch der Enquête-Kommission "Kultur in Deutschland" an. Deren Arbeit umfasst die drei großen Felder "Öffentliche Kulturförderung", "Wirtschaftliche Situation der Künstler" und "Kulturelle Bildung".



Zum Abschluss betonte Wolfgang Thierse, dass man die Gespräche fortsetzen werde. Im Rahmen der nächsten Kulturwerkstatt könne Siggi Ehrmann über die Arbeit der Enquête-Kommission berichten. Des Weiteren sollten Künstler ihre Probleme schildern und gemeinsam mit dem Forum über Förderungsmöglichkeiten diskutieren. Thierse: "Wir erörtern dann gemeinsam die Frage, was, wo und wie gefördert werden soll."

Jürgen Dierkes

(Quelle: eigene Recherche)

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