Marlene Streeruwitz hat mit „Nachkommen“ eine bitterböse Romansatire geschrieben. Sie zeigt, wie die Mühlen des Literaturbetriebs mahlen, wie Kanapees Geistesblitze ersetzen, Sponsoren sich engagieren und wieder abwenden. All das demonstriert sie an ihrer Hauptfigur, der Schriftstellerin Nelia Fehn.
Die Shortlist und „Bauer sucht Frau“
Mit ihrem Erstlingswerk schafft es die Romanheldin Nelia Fehn auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Den Preis bekommt die junge Frau nicht. So war sie eine Kandidatin, wie sie aus TV-Shows bekannt sind, „eine die nun ohne den Bauern fürs Leben nach Hause gehen musste. Ohne den Millionär, der dann ohnehin keiner gewesen war. Eine, die nun kein Model werden durfte. Jedenfalls nicht nach dem Urteil von Heidi“, heißt es im Buch.
Im Literaturbetrieb geht es, muss die Nachwuchsschriftstellerin schnell feststellen, nicht um Romane oder Gedichte, sondern um Bücher: „Das war die Buchmesse und nicht die Literaturmesse. Was hatte sie geglaubt.“ Doch sie besteht auf ihrer Auffassung von Literatur als Kunst, auch wenn die nicht mit jener der Verleger übereinstimmt.
Der Leser muss durchhalten
In den letzten Kapiteln spitzt sich die Geschichte zu. Fehn trifft erstmals in ihrem 20-jährigen Leben auf ihren leiblichen Vater, eine absolute Größe im bundesdeutschen Literaturbetrieb. In seinem Haus geben sich die angesagtesten Kritiker und Verleger, Literaturprofessoren und Autoren die Klinke in die Hand. Bei Spitzenweinen und ausgesuchten Zigarren sprechen sie über ... Bücher.
Die Romanheldin muss sich nun gegenüber dem mächtigen Vater, dem in die Jahre gekommenen Mäzen durchsetzen. Am Ende hat eine Sponsorin des Verlages keine Lust mehr auf Bücher und investiert lieber in bildende Kunst. Fehn, desillusioniert, wird trotzdem weiter schreiben. Etwa über das unter die Deutsche Bank gefallene Griechenland.
Marlene Streeruwitz hat einen sprachmächtiger Roman geschrieben, der den Leser in seinen Bann zieht – wenn der die ersten 20 Seiten durchhält. Denn am Anfang kommt kein Erzähltempo auf, Ein-Wort-Sätze stoppen den Sprachfluss. Doch es lohnt sich das dranzublieben. Die Persiflage auf den Literaturbetrieb ist große Dichtung. Marlene Streeruwitz erhielt für ihre bisherigen Romane (zuletzt „Die Schmerzmacherin“ 2011) zahlreiche Auszeichnungen zugesprochen. Man darf auf ihre weiteren Werke gespannt sein.
Marlene Streeruwitz: „Nachkommen. Roman“, Verlag S. Fischer, Hamburg 2014, 432 Seiten, 19,99 Euro. ISBN 978-3-10- 074445-6
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.