Deutschland ist in Katastrophenstimmung. Mal ist es die Schweinegrippe, die uns in leichte Panik versetzt, mal der erwartete, dann aber ausgeblieben Schneesturm. Immer mit von der Partie sind die Medien, stets dem alten Motto getreu "Bad news are good news". Aufgefordert werden wir zur Massenimpfung und zu Hamsterkäufen, als stehe der Weltuntergang unmittelbar bevor. Da darf das Feuilleton natürlich nicht fehlen im Konzert der warnenden Lautrufer. Schon wird also die globale Finanzkrise zum Anlass genommen, massive Kürzungen der Kulturetats zu prophezeien.
Das Wort von den Schließungen macht die Runde, Theatern, Orchestern, Museen, soziokulturellen Zentren drohe das Aus. Gespeist werden solche Szenarien natürlich von einzelnen Oberbürgermeistern, wie etwa in Wuppertal, die leichtfertig die Schließung des dortigen Schauspielhauses zur Diskussion stellen. Aber auch die Dampfplauderei manch eines Kulturfunktionärs, etwa die vom Spar-Tsunami in der Kultur, tut ihr Übriges. Noch nie bin ich so oft gefragt worden, wie viele Theater denn in den nächsten Jahren geschlossen werden. "Keine!", pflege ich etwas trotzig meine Forderung zu formulieren. Warum?
Hiobsbotschaften schaden nur
Erstens halte ich wenig davon, die Krise herbeizureden. Wenn wir selbst schon die Kürzungen der Etats befürchten, dann werden sie doch erst recht kommen. Welcher Kämmerer ließe sich denn diese Chance entgehen? Zweitens tut es dem öffentlichen Ansehen von Kultureinrichtungen alles andere als gut, wenn sie selbst immer wieder von der Krise reden. Die Leute sollen doch abends gespannt und interessiert ins Theater oder Konzert gehen und nicht in eine Krise. Auch Autos, deren Hersteller in Schwierigkeiten sind, verkaufen sich schwerer als die eines Erfolgsunternehmens.
In der Kultur ist das nicht anders. Und so recht weiß ohnehin niemand, was auf uns zukommt, da helfen Hiobsbotschaften wenig. Außerdem haben die Kultureinrichtungen schon eine gewaltige Sparwelle hinter sich. Allein in den dem Bühnenverein angehörenden etwa 140 Stadt- und Staatstheatern sowie seinen etwa 100 großen Orchestern wurden in den vergangenen 15 Jahren 7000 Arbeitsplätze abgebaut. In zahlreichen der Betriebe mit Haustarifverträgen wurde Lohnverzicht geleistet, um Arbeitsplätze zu erhalten.
Weniger geht nicht
Auch Kämmerer wissen, dass viel mehr nicht geht, will man die Kultur nicht kaputt sparen. So bekennen sich die Städte trotz Finanzkrise mehr und mehr zu Kunst und Kultur, wohl wissend, welchen Attraktivitätsverlust ihr Standort erleidet, wenn ihm das kulturelle Angebot wegbricht. Kürzlich hat etwa der neu gewählte Oberbürgermeister der Stadt Köln, Jürgen Roters, sich unmissverständlich für den Erhalt der Kultureinrichtungen seiner Stadt trotz aller Haushaltsdefizite ausgesprochen. Ebenso beschlossene Sache ist, dass Köln ein neues Schauspielhaus bekommt und dass das Opernhaus einer Generalrenovierung unterzogen wird. Deutlichere Zeichen für die Kultur in der Stadt kann man nicht setzen. Sie müssen Bestand haben - auch nach der Landtagswahl in NRW.
Beethoven für alle
Dennoch bedarf es einer Strategie für die Kultureinrichtungen Deutschlands, will man dem Finanzdebakel nicht tatenlos zusehen. Angesichts zahlreicher Kommunen, die sich in akuter Finanznot befinden, stellt sich politisch eine zentrale Frage: Was ist die Zukunft der Stadt? Darüber ist zu debattieren - auch im Theater, das doch wie kein anderes ein Raum des öffentlichen Diskurses ist. Es wird mir ein immerwährendes Rätsel bleiben, warum wir uns - sicher zurecht - massiv sorgen um Banken und Autoindustrie, ja bereit sind, dort Milliarden von Steuergeldern zu investieren, aber zugleich den kulturellen und sozialen Niedergang der Städte gegebenenfalls in Kauf nehmen.
Es müsste doch dringend ein Konzept zur Sicherung der kommunalen Haushalte aufgelegt werden anstatt diese noch mit der Finanzierung von Steuerentlastungen zusätzlich unter Druck zu bringen. Denn es sind die Kommunen, in denen die Menschen überwiegend leben. Die städtische Infrastruktur, vor allem von Bildung und Kultur, ist entscheidend für deren Lebensqualität.
Dabei geht es nicht nur um die großen Städte. Ein, wenn nicht das Alleinstellungsmerkmal der Bundesrepublik Deutschland liegt in der Existenz von spielfähigen und künstlerisch ambitionierten Theatern, Orchestern und Museen, die wir hierzulande auch in kleineren Städten haben. Vor Ort können die Bürger einer Stadt Mozart, Beethoven und Henze hören, alles sehen, was die Weltliteratur von damals und heute zur Auseinandersetzung mit der Welt beizutragen hat und das zu Preisen, die sich nicht nur eine wirtschaftliche Elite leisten kann. "Kultur für alle"war mal ein Motto das schlechteste war es nicht.
Rolf Bolwin, geboren 1950, ist Geschäftsführender Direktor des Deutschen
Bühnenvereins.
In dieser Funktion ist er Mitherausgeber des im Decker-Verlag erschienenen Kommentars zum Bühnen- und Tarifrecht. Mit zahlreichen Publikationen hat er sich zudem in den
letzten Jahren an der öffentlichen Debatte um die zukünftige Struktur der Staats- und Stadttheater beteiligt