Kultur

„Kultur ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig“

von Susanne Dohrn · 10. Juli 2011
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v orwärts.de: Dortmund 2002, Essen 2004, Duisburg 2007 und nun Bochum - vier große Konzerthausneubauten in zehn Jahren auf relativ kleinem Raum - braucht man die?

Hans-Georg Küppers: Das Ruhrgebiet kann gerade im kulturellen Bereich mit solchen Projekten punkten. Bochum hat ein großes Sinfonieorchester. Es wurde 1919 gegründet, als es der Stadt wesentlich schlechter ging als heute. Das Orchester hat kein eigenes Haus. Das braucht es aber, wenn es wachsen und in die Zukunft weisen soll. So wie das Musikzentrum in Bochum jetzt geplant ist, als Zentrum für die gesamte kulturelle Szene, halte ich den Bau für sinnvoll.

Nehmen sich die vier Standorte gegenseitig nicht die Gäste weg?

Die Gefahr sehe ich angesichts von 5,3 Millionen Einwohnern nicht, die auf den 50 Kilometern zwischen Duisburg und Dortmund leben. Die Konkurrenz untereinander führt zu einem produktiven Wettbewerb.

Haben die Städte überhaupt Geld für solche Projekt und ihren Unterhalt?

Den Städten im Ruhrgebiet geht es nicht gut. Aber über Sparmaßnahmen im Kulturbereich saniert man keinen Haushalt. Wenn man in Städten wie im Ruhrgebiet nicht auf die Weiterentwicklung der Kultur setzt, ist es um ihre Zukunftsfähigkeit schlecht bestellt. Kultur ist eine Investition in die Köpfe. Sie bringt die Städte im Hinblick auf Wirtschaft und Ausbildung nach vorn. Ein attraktives Kulturangebot zieht Firmen und Management an. Das heißt: Auch die Wirtschaftsentwicklung ist von einem qualitativ hochwertigen Kulturangebot abhängig.

Ein hochwertiges Kulturangebot erreicht doch ohnehin nur die Interessierten!

Wenn eine Stadt lediglich auf Neubauten und Großprojekte setzt, ist das der Fall. Für mich ist es genauso wichtig, parallel dazu - nicht als entweder/oder - Volkshochschulen, Musikschulen, Bibliotheken usw. zu fördern. Damit erreicht man diejenigen, die sonst nicht so einfach mit Kultur in Berührung kämen. Der Bau eines Konzertsaales darf nicht zu Lasten einer breiten Grundversorgung gehen. Das wäre fatal.

Das ist aber doch der Fall. Viele Städte sparen bei Theatern, bei Bücherhallen, der freien Szene. Sie stellen nicht einmal ausreichend Kindergartenplätze zur Verfügung.

Es ist die Entscheidung der Städte, wo sie Schwerpunkte setzten. Wenn man überzeugt ist, dass der kulturelle Bereich inklusive Volkshochschulen eine wichtige Zukunftsperspektive bietet, müssen sie dort einen Schwerpunkt setzen.

Viele Städte gerade im Ruhrgebiet befinden sich in einer obsoleten Haushaltslage. Sie müssen freiwillige Aufgaben - und dazu gehören Kulturangebote - streichen.

Dann muss man kämpfen, bei der Bezirksregierung, beim Bezirksregierungspräsidenten. Freiwilligkeit bedeutet nicht Beliebigkeit. Wenn wir hunderttausende Besucher in Bibliotheken haben, sind Bibliotheken keine freiwillige Aufgabe. Kultur ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig.

Und wenn kein Geld da ist?

Es ist Geld da. Es ist eine Frage der Prioritäten. Baue ich einen Parkplatz, eine neue Straße oder nicht? Ich persönlich fahre lieber auf einer schlechten Straße in ein gutes Konzert als umgekehrt.

Stichwort Konzertgänger: Da sieht man viele graue Haare und wenig junge Menschen. Ist das die Zukunft für die groß gebaut wird?

Das ist abhängig vom Programm. Ins Schauspielhaus Bochum gehen viele junge Leute. Im Volkstheater München bilden sie die Mehrheit. Und was die Musik betrifft: Mit 18 oder 20 hat man einen anderen Musikgeschmack. Ich bin mit Deep Purple, Ten Years After und Uriah Heep groß geworden. Das Interesse für klassische Musik kam erst später.

Wie wollen Sie die jungen Leute heute für Klassik begeistern?

Die Konzerthäuser schaffen sich ihr eigenes Publikum, wenn sie etwas machen, was bislang sträflich vernachlässigt wurde, nämlich Education Programme. Das heißt, bewusst auf Kinder und Jugendliche zugehen, um diese an die Musik, die Instrumente, die Musikerinnen und Musiker heranzuführen. Das darf nicht nur in den Konzerthäusern stattfinden. Die Orchester müssen in die Stadtteile gehen, wo die Menschen zu Hause sind, sich wohl fühlen und dort unterhalb von Schwellenängsten Kontakt aufnehmen. Aus diesen Kontakten heraus wird eine neue Publikumsgeneration erwachsen.

Gibt es dafür Beispiele?

In München haben wir pro Jahr 25 000 Kinder und Jugendliche in solchen städtischen education Programmen - mit Musik zum Anfassen, Instrumentenerklärungen, mit Proben, die sie besuchen können und Veranstaltungen mit kleineren Gruppen von Musikern in den Stadtteilen. Das wirkt sich positiv auf die Besucherzahlen bei den Münchener Philharmonikern aus. Das merken wir deutlich. Das ist zwar zusätzliche Arbeit, aber es ist eine Investition, die sich rentiert.

Oslo, Kopenhagen, Hamburg, alle bauen oder haben in den vergangenen Jahren Kathedralen der Hochkultur gebaut. Ist das Zufall?

Städte schmücken sich gerne mit Großprojekten. Man will glänzen, auch nach außen. Wenn ich aber Hamburg betrachte, wo im vergangenen Jahr ein Teil der Kunsthalle geschlossen wurde, weil man angeblich die Heizung nicht bezahlen konnte, ist das keine vernünftige Kulturpolitik. Es gilt, immer beides im Auge zu haben: einen Leuchtturm, aber auch die kleinen Dinge. Wenn es nur noch Leuchttürme gibt, ist alles furchtbar hell und keiner leuchtet mehr individuell. Leuchttürme stellen vieles in den Schatten. Das gräbt einer nachhaltigen Kulturarbeit wie Musikschulen, Bibliotheken oder Volkshochschulen das Wasser ab.

Was sagen diese Bauten über die Bedeutung von Kultur aus? Hat sie sich gewandelt?

Wie wichtig Kultur ist, zeigt sich nicht an Prestigesobjekten. Leuchttürme sind wichtig, weil Städte sich auch in einem Wettbewerb untereinander befinden und um europäischen Verbund. Trotzdem dürfen sie nicht zu Lasten anderer Bereiche gehen.

Die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler würde widersprechen. Der Etat der Elbphilharmonie geht nicht zu Lasten des Kulturetats.

Frau Kisseler hat vom Vorgängersenat ein Erbe übernommen, um das ich sie nicht beneide.

Ist Kultur internationaler geworden?

Kultur war immer international. Sie entwickelt sich im Austausch und in der Internationalität und findet in der Interkulturalität unserer Städte statt. Im Revier leben 120 Nationen zusammen, in München 146.

Aber dass jetzt alle Nas' lang Kreuzfahrtschiff 3500 wohlhabenden Senioren aus aller Welt von Hafen zu Hafen schippern, das ist neu.

In der Tat. Das sei ihnen gegönnt. Und wenn sie dann auch noch Karten für die Elbphilharmonie kaufen, ist das auch in Ordnung.

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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