Kultur

Kreisky-Preisträger Oliver Rathkolb präsentierte sein Buch in Berlin

von Die Redaktion · 6. Februar 2006
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Oliver Rathkolbs Buch ist eine Bestandsaufnahme der jetzt 60 Jahre alten Zweiten Republik. Es kam im letzten Jahr pünktlich zu Österreichs Jubiläen "60 Jahre Kriegsende und Zweite Republik", "50 Jahre Staatsvertrag und 10 Jahre Zugehörigkeit zur Europäischen Union" auf den Markt.

In seinem Werk thematisiert der Historiker Rathkolb wichtige Eckdaten und Entwicklungen der neueren österreichischen Geschichte. Nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, der zweiten europäischen Großmacht neben dem zaristischen Russland, blieb zunächst ein wirtschaftlich schwacher politisch instabiler Kleinstaat zurück. Die Bewohner sehnten sich nach den alten Zeiten zurück.

Nach Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich, Krieg und Zusammenbruch bedeutete die Neugründung der Republik den Beginn einer "inzwischen irreversiblen österreichischen Nation.", so Rathkolb.

Ihre Nazivergangenheit arbeitete diese Nation erst viel später und viel weniger radikal als Westdeutschland auf, über die Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Außenminister und UN-Generalsekretär Kurt Waldheim. Alle Last der österreichischen Nazi-Verstrickungen musste er plötzlich schultern.

Heute ist die Alpenrepublik wirtschaftlich weit erfolgreicher als Deutschland. Sie nimmt den dritten Platz unter den reichsten europäischen Staaten ein, schnitt besser beim Pisa-Test ab und hat eine geringere Arbeitslosigkeit. Schon seit längerem arbeiten deutsche "Gastarbeiter" in Österreich.

Trotzdem hat Deutschland noch ein große Bedeutung für den südlichen Nachbarn. "Es ist das größte für uns, wenn wir gegen Deutschland im Fußball gewinnen" scherzte der Journalist Peter Huemer, der die lebhafte Diskussionsrunde mit dem Autor Rathkolb und der Anglistin und Literaturwissenschaftlerin Prof. Aleida Assmann moderierte. Die Diskussionsteilnehmer trugen interessante sich ergänzende Thesen zur österreichischen und europäischen Identitätsfindung vor.

Abgrenzung für die Identitätsfindung

Die Abgrenzung von den Deutschen war zu Beginn der Zweiten Republik ein wichtiges Mittel, die Verantwortung für Verbrechen und Krieg der Nationalsozialisten erst einmal abzuwälzen. Für die Definition ihrer Identität bezeichnete Rathkolb die Behauptung der Österreicher, die ersten Opfer nationalsozialistischer Aggression gewesen zu sein, als sehr bedeutend.



Für Volksdeutsche habe die österreichische Abgrenzung zu Deutschland tragische Konsequenzen. Familien seien auseinandergerissen und Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen nach Bayern abgeschoben worden. Von Russen vertriebenen Sudetendeutschen habe man die Aufnahme verwehrt, so Rathkolb.

Heute allerdings seien eher die USA und Befürworter der Todesstrafe, wie der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger Thema einer Abgrenzungsdiskussion.

Europäische Identität

Dass Österreich nicht der Motor für ein neues Europa geworden ist, bedauerte Aleida Assmann in der Diskussion um eine europäische Identitätsfindung. Schließlich habe der Nachfolgestaat der ehemaligen K.u.K.-Monarchie heute immer noch gute Bindungen zu Ländern, die dem Staatenbund mal angehörten.

Warum die Ablehnung der europäischen Union in Österreich sogar höher sei als in England dafür fand auch der Historiker Rathkolb keine plausible Erklärung, wo doch gerade das Alpenland von der Erweiterung der EU besonders profitiere. Aber nicht Europa, sondern die Europäische Union sei Zielscheibe dieser Skepsis. Die Institutionen der EU hätten es bisher nicht geschafft eine demokratische Verbindung zu den einzelnen Regionen der Mitgliedernationen aufzubauen. Hierin sah der Autor einen wesentlichen Grund.

Möglicherweise könne die Einführung eines besseren sozialen Systems zukünftig dazu beitragen, eine europäische Identität und ein Zugehörigkeitsgefühl für die vielen Bürger der EU zu schaffen.

Eine Umgestaltung der Lehrpläne forderte Rathkolb. Der Historiker hielt es für problematisch bei der heute großen Anzahl türkischer Schüler an österreichischen Grundschulen in Heimatkunde noch die Türkenkriege so ausführlich zu behandeln. Als würde die ethnische Zusammensetzung der Schüler an der geschichtlichen Faktenlage, die eine Bedeutung für die Region besitzt, etwas ändern.

Identitäten von Menschen beschränken sich nicht auf die Zugehörigkeit zu einer Region, einer Nation oder der Europäischen Union. Die Bereitschaft sich mit vielfältigen verschiedenen Identitäten auseinanderzusetzen und sie anzuerkennen, ist bei gut ausgebildeten jungen Leuten höher als bei anderen Bevölkerungsgruppen. Mit dieser Erkenntnis schlossen Oliver Rathkolb und Aleida Assmann die Diskussion.



Ihre Identität als Genießer entdeckten die geladenen Gäste bei gutem Essen und österreichischem Wein zum Ausklang des Abends.

Karin Müller

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