Kultur

Klaus Zwickel. Spagat zwischen Pragmatismus und Systemkritik

von Die Redaktion · 25. November 2005

Tief prägte Zwickel seine Herkunft aus der Arbeiterschaft im württembergischen Heilbronn. Zwickels Verwandte galten als "fleißige, rechtschaffene Leute, sparsame Schwaben, die es im Leben zu etwas gebracht hatten". Bis 1984 lebte Zwickel in dem 1932 erbauten Haus der Großeltern. Vermutlich erbte er aus diesem eher "bürgerlichen" Umfeld praktischen Realis¬mus. Der junge Mann absolvierte eine Werkzeugmacherlehre und trat der IG Metall bei. Früh habe er ein "Arbeiterbewusstsein" entwickelt. "Die Konfrontation war stets gegenwärtig: Chef gegen Belegschaft oder auch umgekehrt".

Konkrete Gewerkschaftsarbeit stellte für Zwickel eine "wertvolle, heilsame Erfahrung" dar. Auch politisch-philosophische Texte las er und studierte die Geschichte der Arbeiterbewe¬gung. Den Kommunismus lehnte er ab; die Ostblockdiktaturen hätten ihn veranlasst, der SPD beizutreten.

Widerspricht der ehrgeizige Pragmatiker dem Systemkritiker? Im Ka¬pitalismus sei der Profit oberster Maßstab, schreibt Zwickel, betont aber gleichzeitig, dass er Gewerkschaftspolitik ohne "Luftschlösser" und "Traumgebilde" bevorzuge. Ob das "Ar¬beitstier" Zwickel, wie er sich selbst definiert, damit stets richtig lag, ist innerhalb einer Autobiografie schwer zu be¬antworten.

Kapitalismus hin oder her, die Praxis entspricht Zwickels eigentlicher Berufung und da¬bei erzielte er bemerkenswerte Erfolge. Als IG-Metall-Vorsitzender von Heil¬bronn/Neckarsulm rettete er Audi/NSU dank "vertrauensvoller Zusammenarbeit" mit VW-Managern. Indes stand Zwickel der Arbeitslosig¬keit "hilflos" gegenüber. 1982 wechselte er als Bezirkschef der IG Metall nach Stuttgart und sah darin die berufliche Endstation. "Ein Schwabe bleibt am liebs¬ten in seinem Ländle". Ihn irritierte es offenbar nicht, dass er einen Chauffeur erhielt.

Drei Jahre später avancierte Zwickel 1985 zum Ersten Vorsitzenden der IG-Metall. Gegen den hart¬näckigen Widerstand der Arbeitgeber kämpfte er für die Einführung der 35-Stunden-Woche. Auch große Teile der Bevölkerung hätten die Verkürzung der Arbeitszeit "weitge¬hend nega¬tiv" beurteilt. Erst 1995 wurde in der Metallbranche die 35-Stunden-Woche reali¬siert. Heute erkenne er "schmerzlich", wie angesichts der "hohen Arbeitslosigkeit die Arbeit¬nehmer ge¬zwungen werden, ohne Lohnausgleich wieder länger zu arbeiten".

Auch bei anderen Themen spürte Zwickel die Grenzen der Kooperation. An Helmut Kohl scheiterte 1996 seine Idee eines "Bündnisses für Arbeit". Unlängst endete das neue Bündnis aufgrund der "Obstruktion" der Arbeitgeber, die es als "Kampfmittel" gegen die Gewerk¬schaf¬ten missbraucht hätten. Viele Unter¬nehmer, so Zwickel, nutzten die Arbeitslosigkeit, um Ge¬winne zu maximieren und politische Macht zu vergrößern. Die Neoliberalen hätten nach "Strich und Faden" versagt. Jedoch schreibt der gleiche Zwickel, dass die "Ge¬winnziele" der Arbeitgeber und gesell¬schaftliche Interessen zu harmonisieren seien.

Wie extrem schwer dieser Spagat sein kann, demonstriert Zwickels hochnotpeinliche Ver¬strickung in die Mannesmann-Affäre, die ihn 2003 zum Rücktritt veranlasste. Gegen Zwi¬ckel wurde ein Verfahren wegen Untreue eröffnet. Er selbst glaubt, bei der Vergabe von Mil¬lio¬nenzahlungen an Spitzenmanager Fehler gemacht zu haben. Geben und nehmen! Woh¬nen zwei Herzen in einer Brust?

Rolf Helfert

Klaus Zwickel/Anton Zuber, Geben und Nehmen. Eine Autobiografie, Militzke Verlag, Leipzig 2005, 256 Seiten, 19, 90 Euro, ISBN 3861897377

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