KI und das Urheberrecht: Wachsende Sorge vorm „Kollegen Roboter“
Eine „Weltsensation“. So zumindest bezeichnete das Boulevardblatt „die aktuelle“ das Interview, das es Mitte April veröffentlichte. „Mein Leben hat sich total verändert“, wurde der siebenmalige Formel-1- Weltmeister Michael Schumacher darin zitiert. Seit einem schweren Ski-Unfall 2013 lebt er von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Dass er nun in einem Interview Rede und Antwort gestanden haben soll, sorgte für einige Überraschung.
Erst beim genauen Hinsehen wurde klar: Das Interview hatte gar nicht Schumacher gegeben. Es war von einer Künstlichen Intelligenz (KI) geschrieben worden. Der Hinweis der Redaktion „Es klingt täuschend echt“ ging jedoch unter. Konsequenzen wurden zwar schnell gezogen – Chefredakteurin Anne Hoffmann musste gehen, der Verlag entschuldige sich –, doch mit dem erfundenen Interview wurde einer breiten Öffentlichkeit klar, dass Künstliche Intelligenz (KI) endgültig im Alltag angekommen ist.
Einen Inhalteklau darf es nicht geben
Aus Sicht des Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbands Frank Überall zeigt der Fall „den dringenden Handlungsbedarf“ in Sachen KI. Diese werde die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten tiefgreifend verändern. Das betreffe auch die Vergütung von Texten und Fotos, die von Künstlicher Intelligenz als Grundlage für eigene Produkte genutzt werden. „Einen groß angelegten Inhalteklau zum Nulltarif durch den Kollegen Roboter darf es nicht geben“, sagt Überall.
„KI-Systeme untergraben den Wert human-kreativen Denkens und Arbeitens und bergen eine nicht zu unterschätzende Gefahr für uns Kreativschaffende“, warnt auch die Initiative „KI aber fair“, in der sich verschiedene Verbände kreativer Berufe zusammengeschlossen haben.
Verantwortung und Haftung klären
Im Mittelpunkt der Kritik steht das Vorgehen bei Entwicklung und Training von Künstlicher Intelligenz. „Um die Systeme mit den notwendigen Daten zu versorgen, nutzen die Entwickler die Werke von Kreativschaffenden – ungefragt, ohne Einverständnis und ohne Vergütung“, erklärt „KI aber fair“ das Vorgehen und fordert den „Erhalt des Schutzes der persönlichen geistigen Schöpfungen von Urheberinnen und Urhebern“. Nach dem Willen der Verbände soll KI nur dann Daten nutzen dürfen, wenn die Urheber dem zustimmen. „Kreatives Schaffen ist eine Kulturtechnik, ein Prozess des aktiven Reflektierens auf Grundlage des Verstehens. Überlassen wir die Verantwortung des Kreierens KI-Systemen, geht dies verloren“, schreibt „KI aber fair“ in einem Positionspapier.
Ganz ähnlich sieht das die „Initiative Urheberrecht“, die die Interessen von rund 140.000 Urheberinnen und Künstlern in den Bereichen Komposition, Journalismus, Film, Fotografie, Design und Schauspiel vertritt. „Künstliche Intelligenz braucht Leitplanken“, fordern sie in einer Stellungnahme zum geplanten „AI Act“ der Europäischen Kommission, der den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der EU regeln soll. „Unser digitales Gesamtrepertoire dient dem Training von KI, oft ohne Genehmigung und unvergütet und nicht immer für legitime Zwecke“, schreibt die Initiative in ihrer Stellungnahme. „Die ungefragte Nutzung des Trainingsmaterials, seine intransparente Verarbeitung und die absehbare Substitution der Quellen durch den Output generativer KI werfen grundsätzliche Fragen nach Verantwortung und Haftung wie auch Vergütung auf, die zu klären sind, bevor der Schaden irreversibel ist.“
Ein Ethikkodex für KI
„Die Risikoabschätzung und der Einsatz von KI-Methoden müssen auf der Grundlage europäischer Werte und Grundrechte erfolgen“, fordert auch die SPD in ihrem Mitte Mai veröffentlichen Papier für eine „sozialdemokratische Digitalpolitik“. Die SPD werde „einen aktiven Part“ bei der Entwicklung eines Rechtsrahmens für den Einsatz Künstlicher Intelligenz übernehmen. „Es liegt jetzt an uns, die Leitplanken und den Raum auszuhandeln, innerhalb dessen die Technologie transparent, diskriminierungsfrei, sicher und verantwortungsvoll eingesetzt und weiterentwickelt werden kann.“ Bis es soweit ist, spricht sich die Medienkommission der SPD für die Entwicklung eines Ethikkodex‘ zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz in den Medien aus. Dieser soll zum einen die Entwicklung von KI-Systemen erfassen und zum anderen dabei helfen, über den Einsatz von KI bei der Berichterstattung zu reflektieren. Damit es weitere KI-generierte Interviews nicht mehr gibt.
Die Stellungnahme der „Initiative Urheberrecht“ finden Sie unter urheber.info
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.