Es fällt schwer, sich mit dem Streitthema Kernenergie zu beschäftigen, ohne die schrecklichen Folgen von Störfällen im Kopf zu haben - von Lobbyisten gerne als Restrisiko verniedlicht. Der Dokumentarfilmer Volker Sattel verlässt sich hingegen ganz auf die scheinbare Normalität einer hermetischen Welt. Im extrabreiten Cinemascope-Format fährt die Kamera durch Kontrollräume. Sie durchmisst Kühltürme, Zwischenlager und fährt hinab zum diffus schimmernden Reaktorkern. Mit dieser Methode versucht sich Sattel an einer "Archäologie der Atomkraft", ohne ein klares Statement dafür oder dagegen zu formulieren. Gleichwohl hält er ihr Fortschrittsversprechen für gescheitert.
Es ist eine Ästhetik, die an alte Science-Fiction-Filme erinnert. Auch wenn man sich als Zuschauer wie auf einem anderen Planeten vorkommt: Hier geht es nicht um ferne Galaxien, sondern um die Realität. Die zeigt dieser Film, dessen Kinostart wegen des Super-GAUs in Fukushima von September auf Ende Mai vorgezogen wurde, auch von ihren profanen Seiten: Männer in blauen Kitteln und Badeschlappen schlurfen über lange Gänge oder verdrücken mürrisch ihr Kantinenessen. Es ist überhaupt eine reine Männerwelt, die in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft undenkbar wäre. Auch dadurch entsteht ein Gefühl der Befremdung.
Mensch kontra Maschine
Die Bilder der Gegenwart verstärken die drängenden Fragen, die die unvorstellbaren Dimensionen einer Maschinerie, die in suggestiven Einstellungen inszeniert wird, aufwerfen: Welche Rolle spielt der Mensch im atomaren Kreislauf? Kann er diese Technik überhaupt beherrschen? Oder ist es umgekehrt? Sattel lässt die Zuschauer mit derlei Fragen weitgehend allein. Wie er sich überhaupt jeglichen gesprochenen Kommentars enthält.
Dafür kommen Ingenieure, Techniker, Strahlenschützer und Risikoforscher zu Wort. Das Mantra aufseiten der Atomindustrie ist klar: Ein Restrisiko ist nichts als eine statistische Größe. Im Ingenieursprech heißt das: "Ein Störfall ist nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen." Und was ist mit der Beherrschbarkeit?
Kommt es zu einem Störfall, so berichtet ein leitender Ingenieur, spult die Technik einen Notfahrplan ab. Will der Mensch eingreifen, braucht er das Okay der Maschine. Die Schlussszene, die einen Kontrast zur sonst recht gemächlichen Erzählweise bildet, greift diesen Aspekt wieder auf: Ein Stück Film wird mit Gamma-Strahlen beschossen, grünes Flackern verwirrt die Augen. Anschließend sehen wir den Kontrollraum des Essener Simulationszentrums, in dem sämtliche Alarmleuchten blinken. Und nirgendwo eine Menschenseele.
Eine Welt für sich
Lakonisch-korrekte Äußerungen, die ernst gemeint klingen, aber doch Ansätze von Selbsthypnose vermuten lassen. Kaum eine Szene bringt die innere Haltung des Personals, das für die kontrollierte Kettenreaktion zuständig ist, so auf den Punkt wie eine morgendliche Dienstbesprechung. Da werden unverständliche Buchstaben- und Zahlenkürzel gemurmelt, um sich über den Stand der Dinge im Atomkraftwerk auszutauschen.
Man fragt sich: Was dringt aus dieser Welt überhaupt nach außen? Die Vielzahl an Schauplätzen verstärkt den Eindruck einer abgeschlossenen Welt. Ob im Kernkraftwerk Grohnde, im Endlager Morsleben, im Forschungsreaktor Karlsruhe oder sogar bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien, um nur einige zu nennen.
Selbstbewusstsein vor Fukushima
Techniker und Funktionäre scheinen nicht nur an die Utopie zu glauben, die in Deutschland einst gesellschaftlicher Konsens war. Während der Dreharbeiten im letzten Jahr hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung die Reaktor-Laufzeitverlängerung auf den Weg gebracht. Bereitwillig öffnete man dem Team Tür und Tor, ließ es das Allerheiligste ablichten, um eine Technologie zu präsentieren, die, wie man glaubte, neu geadelt wurde. So erklärt sich das Selbstbewusstsein eines Atommanagers, der über deutsches Reaktor-Know-how frohlockt, nach dem sich "Ingenieure die Finger lecken". Was für ein bitterer Kommentar dazu ist Fukushima!
An einigen Stellen bezieht der Film überraschend deutlich Position. Wenn man Kindern dabei zusieht, wie sie im Kettenkarussell durch einen Kühlturm des stillgelegten Schnellen Brüters im "Wunderland Kalkar" sausen, wirkt das wie ein ironisches Ausrufezeichen für den Triumph des Menschen über die Kernkraft. Vielleicht soll die Szene auch nur den unbekümmerten Umgang mit dieser Risikotechnologie illustrieren. Doch ebenso wie in den Bildern von der Ruine des unvollendeten Atomkraftwerks Stendal wird jene eindeutig als etwas Vergangenes inszeniert.
"Unter Kontrolle" (D 2010), Buch und Regie: Volker Sattel in Zusammenarbeit mit Stefan Stefanescu, Länge: 98 Minuten, Sprache: Deutsch
Kinostart: 26. Mai
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