Für Berlins Weltruf ist das wichtig: Entgegen landläufiger Meinung entscheidet sich nämlich nicht nur an berühmten Solistinnen und Solisten, ob ein Ballettensemble von großer Klasse ist.
Ausschlag gebend ist die Gruppe als Ganzes, die so genannte "Compagnie". Teamwork ist angesagt, denn sie soll wirken wie ein zusammenhängender Organismus. "Corps de ballet", französisch für
"Ballettkörper", wird sie darum genannt. Synchronizität, Parallelität, Abstimmung auch bei kontrastreichen Schrittfolgen müssen sein.
Der bildhübsche Mexikaner Javier Pena Vazquez, 29, tanzt seit sieben Jahren in Berlin. "Wenn wir alle dasselbe spüren und denken, ist es am besten", weiß er. Allerdings: Das ist harte
Arbeit. Denn vor allem ist Ballett eine Kunst, kein Massensport. Doch sogar Nacktsein auf der Bühne kann in der Gruppe einfacher und auch wirkungsmächtiger sein als bei einem einzelnen Solisten.
Javier: "Ich bin manchmal etwas schüchtern, da hilft das Teamgefühl sehr." Wenn er dann zum Beispiel in "Caravaggio" mit lasziven Rhythmen aufdreht, merkt man von Schüchternheit allerdings nichts
mehr.
Technisch kann sowieso fast jeder Gruppentänzer auch das, was die brillierenden Ersten Solisten vermögen. Und nur als Gruppe ist man wirklich stark: Auch Stars brauchen auf der Bühne den
Rückhalt der anderen. Im Staatsballett Berlin, das derzeit über das beste Ensemble in Deutschland verfügt und Paris mit seiner legendären Riesen-Truppe ernsthaft Konkurrenz macht, weiß man das.
Wenn Ballettmeisterin Barbara Schroeder morgens das tägliche "Exercise" leitet, achtet sie darauf, dass alle Bereiche des anstehenden Probentages schon mal antrainiert werden: Sanfte, weich
fließende Bewegungen ebenso wie die stakkato-artigen Beinwürfe, bei denen die Fußspitzen in der Luft erst kurz vor den Ohren stoppen.
Ob Probe oder Training: Im Ballettsaal herrscht eine Art "positiver Wettbewerb". Javier Pena Vazquez: "Das hilft einem sogar im Leben draußen. Denn wir lernen, mit unseren Gefühlen fair zu
sein." Konkurrenz wird im Ballett grundsätzlich als Ansporn gesehen, und nicht, wie im Kinofilm "Black Swan", als Intrigenpool. Körper, Geist und Seele - alle Arten menschlicher Energie - sollen
schließlich harmonieren.
Das Training reicht indes vom genüsslichen Ausprobieren bis zu hammerhartem Drill: Sonst ist ballettöse Spitzenleistung nicht zu haben. Die Zuschauer am Abend begeistert dann, wie virtuos
die knapp 90 Berliner Tänzerinnen und Tänzer mit ihren muskulösen Körpern "sprechen". In "La Esmeralda" nach dem "Glöckner von Notre-Dame", dem Roman von Victor Hugo, tanzen Javier und eine
ausgelassene Schar das "Narrenfest". Als Bettler und Vagabunden kostümiert, machen sie den Handlungsablauf fast vergessen: So mitreißend springen und tänzeln sie, wie außer Rand und Band, dennoch
kaleidoskopartig gruppiert.
Das Kollektiv ist auch in modernen Balletten bedeutsam. "OZ - The Wonderful Wizzard" von Giorgio Madia etwa ist richtiges Showtheater: Die Tänzer sind als Affen, Katzen, skurrile
Computerwesen verkleidet. Und entführen durch ihr Zusammengehörigkeitsgefühl in eine andere Sphäre - eine Märchenwelt voller Überraschungen. Effektvoll wird auch die Ballett-Gala sein, mit der
die Spielzeit eröffnet. Ihr Höhepunkt: "Die vier Jahreszeiten" von Ballettintendant Vladimir Malakhov. Auch darin ist das Ensemble unverzichtbar: Im letzten und schönsten Stück, dem "Herbst",
zeigen vierundzwanzig Tänzerinnen und Tänzer, darunter Javier, welche Erhabenheit in der kommenden Jahreszeit steckt. Kennzeichen: Stärke. Eine Ballerina allein könnte das nie.
Die Termine beim Staatsballett Berlin: "Ballett-Gala": 28.9., Deutsche Oper Berlin. "La Esmeralda": 2.10., 7.10., 13.10., 16.10., 21.10., 25.10., auch in der Deutschen Oper Berlin. "Caravaggio" am 15.10., 20.10., 22.10., 23.10. im Schiller Theater Berlin. "OZ": 5.10. und 12.10. sowie im November in der Komischen Oper. Infos und Karten unter www.staatsballett-berlin.de