„Keine einfachen Urteile von einer komplizierten Welt“
Die jugendlichen NSDAP-Mitglieder von einst haben sich im Laufe ihres Lebens zu erfolgreichen Demokraten entwickelt. Ihre NSDAP-Mitgliedschaft leugnen viele bis heute. Ein falscher Umgang mit der Vergangenheit? Darüber diskutierten Klaus von Dohnanyi und Schriftsteller Malte Herwig am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse.
„Man kann von Menschen nicht erwarten, dass sie ungewöhnlich und mutig sind“, sagte der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs Klaus von Dohnanyi am Freitag auf der Frankfurter Buchmesse. Von Dohnanyis Vater Hans und sein Onkel Dietrich Bonhoeffer, die als Widerstandskämpfer von Nationalsozialisten ermordet wurden, waren Helden. Im Gegensatz zu den meisten Deutschen im Dritten Reich.
15 Prozent der Bevölkerung gehörten der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) an. Dass sich Parteimitglieder von einst, etwa die Schriftsteller Martin Walser, Erich Loest und Günther Grass, heute nicht mehr an ihren Eintritt in die NSDAP erinnern (wollen), davon handelt Malte Herwigs Buch „Die Flakhelfer. Wie aus Hitlers jüngsten Parteimitgliedern Deutschlands führende Demokraten wurden“.
Verdrängung der Parteimitgliedschaft
Der Publizist Herwig hat Zeitzeugen wie Grass und Loest befragt, um zu verstehen, warum diejenigen, die als Demokraten die Bundesrepublik prägten, sich nicht an ihre NSDAP-Mitgliedschaft erinnern. „Man wurde nicht ohne eigenes Wissen NSDAP-Mitglied“, sagt Herwig. Aufnahmeverfahren und eigene Unterschrift seien notwendig gewesen. Verdrängung beherrsche die Zeitzeugen, die bei ihrem Eintritt in die NSDAP 16 oder 17 Jahre alt gewesen seien. Als Anklage versteht der Publizist sein Buch nicht: „Ich sitze nicht auf dem hohen Ross der Nachgeborenen.“ Stattdessen möchte er aufzeigen, welche Verdrängungsmechanismen und Klischeebilder die Auseinandersetzung mit der NSDAP-Mitgliedschaft verhinderten.
Auch die Politik habe sich am Verdrängungsprozess beteiligt, so Herwig. „Die Bundesregierung und das Auswärtige Amt haben bis in die 80er Jahre verhindert, dass die USA die NSDAP-Mitgliedskartei an Deutschland zurückgibt.“ So sei ein Aufarbeitungsprozess vermieden worden. Die Folge: Die schwarz-weiß-Bilder des schlechten Deutschen in der NSDAP, des Guten im Widerstand hätten dominiert.
Muss die Vergangenheit ruhen?
„Das sind ja kleine Jungs gewesen,“ sagte Klaus von Dohnanyi. Der SPD-Politiker wünschte sich mehr Toleranz für die Mitglieder der NSDAP, so denn diese keine führende Funktion im NS-Regime verfolgt hätten. Für viele sei die Mitgliedschaft einfach praktisch gewesen. Von Dohnanyi entschuldigte das Mitläufertum als Folge der menschlichen Schwäche. „Die Welt war kompliziert damals und über so eine komplizierte Welt dürfen keine einfachen Urteile gefällt werden.“
Im Gegensatz zum Publizisten Herwig, der die Enkelgeneration auffordert, die Parteizugehörigkeit ihrer Großväter aufzuarbeiten, plädierte von Dohnanyi dafür, die Vergangenheit ruhig auch mal ruhen zu lassen. Man müsse mehr zu Zivilcourage erziehen und sich so um die Zukunft bemühen, sagte er.