Kultur

Keine Dekoration, sondern Grundrechte

von Matthias Dohmen · 29. April 2013

Die Entwicklung und die Durchsetzung der Menschenrechte sind das Thema eines sachkundigen und faktenreichen Werks des Vorsitzenden des Nürnberger Menschenrechtszentrums, Michael Krennerich. „Soziale Menschenrechte“ ist ein Arbeitsbuch, das nicht nur in die Bibliotheken von Parlamenten und Fraktionen gehört, sondern auch Unterstützern von Menschenrechtsgruppen viele Argumente an die Hand gibt.

Bei den sozialen Menschenrechten handle es sich keineswegs um eine Verzierung, derer man sich bedienen könne oder auch nicht, stellt Krennerich klar. Sie seien keine unverbindlichen Absichtserklärungen oder „Wunschzettel an den Weihnachtsmann“, wie es in einer „seriösen“ Untersuchung heißt, die der Autor in seiner Einleitung zitiert. Die sozialen Menschenrechte stehen genau wie das Recht auf Arbeit auf soliden völkerrechtlichen Grundlagen.

Entwicklung in drei Phasen

Der Autor beschreibt drei Phasen der Entwicklung von Menschenrechten. In der ersten ging es um die klassischen Freiheitsrechte, also die Sphäre der Freiheit vom Staat. In der Folge steht die Teilhabe von Gruppen an der Machtausübung im Mittelpunkt, mithin die Freiheit im Staat. In Phase Drei werden soziale Rechte proklamiert: Hier kann man von Freiheit mit Hilfe des Staates sprechen. Es waren lange Auseinandersetzungen: „Überspitzt formuliert, kam in Nordamerika und Europa zunächst das weiße, männliche Bürgertum in den Genuss bürgerlich-politischer Rechte“, heißt es im Buch.

Zehn soziale Rechte listet Krennerich auf: das Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit sowie die Rechte auf Arbeit, auf eine menschenwürdige Beschäftigung, auf soziale Sicherheit, auf Gesundheit, auf angemessene Unterkunft, auf Nahrung, auf Wasser und Sanitärversorgung, auf Bildung und schließlich auf Teilhabe am kulturellen Leben.

Zum Recht auf Arbeit erläutert der Autor: Nach dem UN-Sozialpakt müsse der Staat die Berufsfreiheit schützen und einen diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt sicherstellen. Dies betreffe insbesondere Frauen, alte Menschen, Behinderte und Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten. Das Diskriminierungsverbot, das bereits in einem ILO-Abkommen von 1958 festgehalten ist, gehört, wie der Privatdozent am Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik nachdrücklich betont, „zu den unverzüglich umzusetzenden Staatenpflichten, die nicht unter Ressourcenvorbehalt stehen“.

Das marktradikale Credo bremst Menschenrechte aus

Die Entwicklung verläuft nicht ohne heftige Rückschläge, weiß auch Krennerich: „Gerade vor dem Hintergrund extremer Macht- und Ressourcenungleichheiten innerhalb und zwischen den Staaten wirft das (immer noch) weithin praktizierte marktliberale Credo immense menschenrechtliche Probleme auf“. Die Proklamation von Rechten geht ins Leere, „wenn nicht transnationale Akteure, Netzwerke, Koalitionen und Bewegungen entsprechende Forderungen aufgriffen und artikulierten“.

Wie denn nun Gegenmacht aufgebaut werden kann und welche Rolle eine (von manchen Theoretikern leichtfertig abgeschriebene) kämpferische Arbeiterbewegung spielen könnte, wird unzureichend bis gar nicht thematisiert. Wichtige Hinweise finden sich gleichwohl in dem 20 Seiten umfassenden Kapitel über die Arbeit von Nicht-Regierungsorganisationen. Leider fehlen ein Glossar und ein umfassendes Register, das die sehr verdienstvolle Arbeit mehr politisch Interessierten zugänglich machen könnte und auch Fachleuten eine große Hilfe wäre.

Michael Krennerich: „Soziale Menschenrechte. Zwischen Recht und Politik“. Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2013, 526 Seiten, 29,80 Euro. ISBN 978-3-89974855-0

 

Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

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