"Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt": Die Grundthese von Rosa von Praunheims gleichnamigem Film aus den frühen 70er-Jahren hat nichts von ihrer Aktualität verloren: Nicht nur, aber gerade dort, wo die Emanzipation von Schwulen und Lesben noch in den Anfängen steckt.
Das zeigt der Blick nach Ostafrika: In Uganda kursiert der Begriff der Vergewaltigung als "Gegenmittel": Die Lesben- und Schwulen-Aktivistin Stosh musste das, was hinter dieser sprachlichen Groteske steckt, bitter erleiden. Als Jugendliche zieht sie mit ihren männlichen Altersgenossen durch die Gegend. Plötzlich kommt heraus, dass Stosh auf Frauen steht. Ihre Freunde wenden sich ab. Einer von ihnen meint, ihr den Weg zur einzig wahren Sexualität weisen zu müssen. Und vergewaltigt sie. Dass sich viele Menschen in Uganda von radikalen christlichen wie muslimischen Predigern – unter anderem Importe aus den USA – zum tödlichen Hass auf die "Sünde" aufstacheln lassen, begünstigt solche Exzesse.
Stoshs Bericht über ihren schmerzhaften Weg zur Lesben- und Schwulenbewegegung in einem Land, das seit Jahren über die Todesstrafe für Homosexuelle diskutiert, zählt zu den verstörendsten Stellen von "Call Me Kuchu". "Kuchu" ist in Uganda die landläufige Titulierierung für alles, was nicht hetero ist. In dem Dokumentarfilm von Katherine Fairfax Wright und Malika Zouhali-Worrall klingt es zugleich wie ein Kampfbegriff von Stosh und all jenen, die sich in der Bewegung "Sexual Minorities Uganda" (SMUG) für sexuelle Selbstbestimmung einsetzen – erst vor acht Jahren wagte das Netzwerk den Schritt aus dem Untergrund. Deren bislang überragender Triumph ist ebenso mitzuerleben wie der schmerzlichste Verlust. Umso beschwörender ertönt immer wieder die SMUG-Parole "Der Kampf geht weiter".
Kämpferisch und ausgelassen
Dennoch kommt "Call Me Kuchu" alles andere als agitatorisch daher. Vielmehr handelt es sich um ein Porträt von Menschen, die für ihr Recht auf Individualität kämpfen – und dadurch oftmals um nackte Überleben. Der Film erzählt von der gesellschaftlichen Polarisierung in Uganda, vermeidet aber die typischen "Afrika-als-Krisenkontinent"-Schablonen. Gleichwohl wird die besondere Situation von Schwulen, Lesben sowie Bi- und Transsexuellen im Osten Afrikas thematisiert, nicht nur im Zusammenhang mit der Aids-Pandemie. Bei der vergangenen Berlinale sprang für diese subtile, von leisem Humor durchzogene Erzählung der Teddy Award für den besten Dokumentarfilm heraus.
Im Zentrum steht die Geschichte von David Kato. Er gilt als erster homosexueller Mann Ugandas, der sich geoutet hat. Um die Jahrtausendwende wurde Kato zur entscheidenden Identifikations- und Integrationsfigur der Gay-Bewegung. Vor der Kamera erleben wir allerdings keinen verklärten Helden, sondern einen Selbstironiker, der ungehemmt seine Sehnsüchte und Ängste offenlegt – oder einfach mal froh ist, auf Mutterns Bauernhof seine Ruhe zu haben. Dazu tritt jene unbekümmert wirkende Ausgelassenheit, mit der eine eingeschworene Gemeinschaft dem Alltag entflieht – zum Beispiel bei einer Karaoke-Party im Fummel. Selten war einem die globale Gültigkeit mancher subkultureller Muster so bewusst.
Vogelfrei trotz Prozess-Triumph
Katos Ängste sollen sich als berechtigt erweisen: Am 26. Januar 2011 wird ihm in seinem Haus der Schädel eingeschlagen. Sein plötzlicher Tod ist die entscheidende Bruchstelle im Film: Der Schock seiner Mitstreiter ist fast schon physisch erfahrbar, der Mord macht auch den Zuschauer sprachlos. Wohl auch, weil er nur wenige Wochen auf den größten Erfolg von SMUG folgt: die einstweilige Verfügung gegen das Boulevard-Blatt "Rolling Stone".
In einer Art Serie hatte die Zeitung tatsächliche oder angebliche Schwule geoutet, vor deren "jugendgefährdenden Perversionen" gewarnt und Todesdrohungen abgedruckt. Dass Kato und viele andere dadurch vogelfrei waren, konnte auch kein Gerichtsurteil, das der Kampagne einen Riegel vorschob, rückgängig machen. Insofern ist "Call Me Kuchu" auch ein warnendes Lehrstück über die Folgen einer verblendeten öffentlichen Kommunikation.
Die Reaktionen aus dem Ausland auf den brutalen Anschlag erhöhten immerhin den Druck auf das ugandische Regime. Bis heute hat dessen Schein-Parlament jenes Gesetz, das Homosexuelle und deren "Helfershelfer" mit dem Tod bedroht, nicht passieren lassen. Doch die Realität auf Ugandas Straßen, auch das macht "Call Me Cuchu" immer wieder deutlich, ist sowieso eine andere: Wer zum Beispiel dachte, Katos Begräbnis führe die Menschen zusammen, erlebt das genaue, surreale Gegenteil: etwa die Hasstiraden eines Seelsorgers und die Weigerung der Dorfbewohner, den prominenten Sohn aus ihren Reihen zu bestatten. Also nehmen die Gay-Aktivisten die Sache in die Hand. Es wirkt wie ein Befreiungsschlag.
"Menschenrechte haben nichts mit gleichen Rechten für Schwule und Lesben zu tun", schnurrt der Herausgeber des "Rolling Stone" gegen Ende mit breitem Grinsen. "Schon gar nicht in Uganda." Und doch lässt "Call Me Kuchu" einen mit der Hoffnung zurück, dass die Sache anders ausgehen könnte – nicht nur, aber auch in Ostafrika.
Info: Call me Kuchu (Uganda/USA 2012), ein Film von Katherine Fairfax Wright und Malika Zouhali-Worrall, 90 Minuten. Ab sofort im Kino