Kultur

Kapitalismus-Ausstellung in Bonn: „Lass dich nicht ausbeuten!“

Die Ausstellung „Wir Kapitalisten“ in der Bonner Bundeskunsthalle sollte Kapitalismus nicht nur darstellen, sondern erlebbar machen. Das war wegen der Corona-Pandemie zunächst nur einen Tag lang möglich.
von Jonas Jordan · 7. Mai 2020
Der gestürzte Riese: Ein Sinnbild für die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Kapitalismus? Den Eindruck kann man als Betrachter des Kunstwerks „Give us, Dear“ von Mathias Böhler und Christian Orendt gewinnen.
Der gestürzte Riese: Ein Sinnbild für die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Kapitalismus? Den Eindruck kann man als Betrachter des Kunstwerks „Give us, Dear“ von Mathias Böhler und Christian Orendt gewinnen.
Am Anfang ist das Handy. Es ist Teil des „Kapitalismus-Games“ in der Ausstellung „Wir Kapitalisten“ in der Bundeskunsthalle in Bonn. Dort soll Kapitalismus für Besucher*innen erfahrbar gemacht werden. Sie laden sich zunächst Ego-Punkte auf ihr Handy. Diese bekommt, wer bestimmte Emotionen wie „angeekelt“, „überrascht“ oder „ängstlich“ besonders gut mimisch darstellen kann. Darüber entscheidet eine Gesichtserkennungssoftware. 

„Wir sehen uns bei der Revolution“

Denn auch Emotionen seien im Kapitalismus wichtig, so die Begründung. 73.300 Ego-Punkte des Besuchers zeugen von einer gelungenen Darstellung. Damit kann er im Anschluss mit einzelnen Ausstellungsobjekten interagieren, etwa mit einer Kaufmannsfrau aus dem 19. Jahrhundert, dem Maschinenmenschen Maria aus Fritz Langs Kultfilm „Metropolis“ oder dem Kapitalismuskritiker schlechthin Karl Marx. Den Chat mit dem Rauschebartträger gibt‘s für 2.000 Ego-Punkte. Der Theoretiker empfiehlt einem die Marx-Engels-Gesamtausgabe in 114 Bänden und endet mit „Wir sehen uns bei der Revolution“.

Es ist eine Art der Kommunikation und Kapitalismuserfahrung, die insbesondere für eine jüngere Zielgruppe wie Schulklassen ansprechend hätte sein können. Wenn die Ausstellung nicht gerade mal zwei Tage nach ihrer Eröffnung coronabedingt schon wieder hätte schließen müssen. „Für mich ist die ambivalente Erfahrung des derzeitigen Stillstandes ein Grund für die beinahe gespenstische Treffsicherheit unserer Ausstellung“, sagt Kuratorin Henriette Pleiger im Gespräch mit dem „vorwärts“.

Inzwischen versucht die Bundeskunsthalle, die Eindrücke zumindest teilweise digital zu vermitteln. Auf ihrer Homepage hat sie einen Film darüber und einen Rundgang mit den beiden Kurator*innen durch die Ausstellung veröffentlicht. Dennoch fehlt das Wesentliche dieser Schau, das eigene räumliche Erleben des Kapitalismus und die daran anschließende Selbstreflexion. Das wird ab dem 12. Mai wieder möglich sein. Dann öffnet die Ausstellung ein zweites Mal. Sie wurde zudem bis zum 30. August verlängert. 

Die Perversion des Kapitalismus

In wenigen Schritten geht es von den Anfängen des Kapitalismus im Mittelalter hinein in die Phase der Industrialisierung bis hin zum beginnenden Massenkonsum des 20. Jahrhunderts. In der Mitte des Raumes auf schlichten, durchnumerierten, metallischen Regalen sind die Konsumobjekte aufgereiht, sodass man nur noch zugreifen müsste.

Was gleichzeitig teilweise einer Perversion gleichkommt. Beispielsweise wenn ein Film über Land-Grabbing in Kambodscha die schauderhaften Auswüchse des westlichen Konsumverhaltens zeigt. Darin filmt ein buddhistischer Mönch, wo Dorfbewohner vertrieben wurden und jetzt ein internationaler Zuckerkonzern operiert. „Seit Generationen war das unser Land“, erzählt eine 85-Jährige, den Tränen nahe.

„Lass dich nicht ausbeuten!“

„Die Ausstellung zeigt, dass der Kapitalismus nicht nur ein Wirtschaftssystem, sondern eine Gesellschaftsordnung ist“, erläutert Kurator Wolfger Stumpfe im Gespräch mit dem „vorwärts“. Am Ende der Ausstellung raucht dem Besucher jedenfalls der Kopf, auch ohne die 114 Bände von Marx und Engels gelesen zu haben. Doch eines fehlt noch: die persönliche Auswertung. Denn je nach Konsumverhalten folgt ein persönlich zugeschnittenes Virtual-Reality Erlebnis. Versehen mit der Botschaft: „Mach‘s gut und lass dich nicht ausbeuten!“

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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