Kultur

Kapital in der Tonne

von ohne Autor · 8. September 2011
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An einer Stelle wird Valentin Thurns nahezu irritierend sachliche Weltreise in Sachen Konsum dann doch recht drastisch. "Unsere Kühlschränke sind zu Familiengräbern geworden", sagt Carlo Petrini, der Gründer und Präsident von Slow Food International. "Anstatt darin Lebensmittel aufzubewahren, sind sie der Vorhof der Müllkippe. Wir sollten weniger kaufen, aber alles aufessen."

Wir sehen ihn am Rande einer Menschenmenge in Turin, die gerade ein Drei-Gänge-Menü verspeist. Sämtliche Zutaten, die in den Mägen der 1000 Teilnehmer der "Cena Colletiva" landen, waren zuvor von Handelsketten und Erzeugern aussortiert worden, obwohl sie noch genießbar waren. Innerhalb der EU werden jedes Jahr 90 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen - das entspricht einer Lkw-Kolonne rund um den Äquator.

Müllberge aus Kalkül

Petrini lenkt den Blick auf die Verschwendung von Ressourcen, die nur vordergründig der perfekten äußeren Form oder der Gesundheit der Verbraucher geschuldet ist. Im Hintergrund, so die These des Films, steht die kalkulierte Verknappung von Lebensmitteln auf dem Weltmarkt: Was weggeschmissen wird, muss wieder produziert werden. Das gilt auch für Obst und Gemüse, das vielleicht keinen Schönheits-, aber jeden Qualitätstest besteht. So fordert die Wiener Abfallforscherin Felicitas Schneider mehr Nachhaltigkeit, auch auf Seiten der Konsumenten: "Mit den Lebensmitteln wird nicht nur die Ware weggeworfen, sondern auch die gesamte Erzeugungskette, da ist ein enormes Einsparpotenzial."

Welche Folgen das ressourcenverschlingende Wirtschaften der reichen Länder in ärmeren Teilen der Welt hat, macht Thurn behutsam, aber eindringlich deutlich: Während in der EU pro Jahr fünf Millionen Tonnen Weizen allein in die Futtermittelindustrie wandern - Brotreste aus dem Handel sind tabu - , ist das Getreide in Somalia, das wegen der Dürre größtenteils auf Importwaren angewiesen ist, unbezahlbar.

Viele Fragen, die "Taste The Waste" ("Erkenne die Verschwendung") aufgreift, waren bereits Thema von Dokumentationen. Teile des Materials hatte Thurn für seine Fernsehreportage "Frisch auf den Müll" verwendet. Und nicht zuletzt Erwin Wagenhofers Dokumentarfilm "We Feed The World" warf ein kritisches Licht auf die globalisierte Nahrungsmittelindustrie. Und doch bietet der Blick auf den letzten Gang der Massenwaren einigen Erkenntnisgewinn.

Mitmachen unter Zweifeln

Da wäre etwa die Freimütigkeit, mit der Großmarktarbeiter und Supermarktangestellte in Frankreich und Japan die alltägliche Entsorgung von Nahrungsmitteln

bezeugen, deren Haltbarkeitsdatum erst nach mehreren Tagen abgelaufen wäre. 500 Tonnen pro Filiale und Jahr: Die Masse an Lebensmitteln, die in französischen Supermärkten vernichtet wird, ist schier unglaublich, doch man versteht die Logik dahinter. Vor allem dank der Augenzeugen als ohnmächtiger Teil des Systems: Die wirkliche Tragweite dieses inneren Konflikts ist allenfalls zu erahnen, gleichwohl ist sie während der Interviews zu spüren.

Die eigentliche Stärke des Films liegt darin, Wege aufzuzeigen, wie die Müllberge, wenn sie schon nicht verhindert werden, zumindest eine sinnvolle Verwertung finden können. Davon wiederum profitiert das Klima, schließlich erzeugen verrottende Lebensmittel das schädliche Gas Methan. So vermischt etwa ein Bäcker aus Hilden Brotreste mit Holzpellets und befeuert damit die Öfen in seinem Betrieb.

Von der Pfanne in den Stall

Ein japanischer Koch schildert wiederum, wie es zur Gründung eines Recycling-Netzwerks für Speisereste kam. Jeden Tag leert er Teller und Schüsseln für eine Tierfutterfabrik, die ihrerseits Bauern der Region Yokohama beliefert. Deren Tiere landen schließlich in der Pfanne des besagten Küchenchefs. In Europa wäre dieser Kreislauf undenkbar.

Doch die teilweise überraschenden Auswege aus dem Verschwendungszusammenhang können nicht über so manchen erzählerischen und inhaltlichen Mangel von "Taste The Waste" hinwegtäuschen. So wären mehr Hintergrundinformationen zum Ursprung der bunten Warenwelt notwendig gewesen: Warum verlangen Handelsketten nach Bohnen aus Kenia, die, kaum, dass sie ihr Ziel in in Europa erreicht haben, reif für den Müll sind?

Thurns Fixierung auf das Entsorgungsproblem lässt manche Frage offen. Etwa die nach dem Wandel des Konsumverhaltens in reichen Ländern wie Deutschland: Verlangen die Kunden nach afrikanischen Bohnen oder erliegen sie den Einflüsterungen der Handelskonzerne? Und was ist mit Gegenbewegungen wie Lokavoren, die ausschließlich auf regionale und saisonale Produkte setzen?

Wegen der lückenhaften Rückkopplung mit deutschen und europäischen Realitäten agiert "Taste The Waste" manches Mal im luftleeren Raum - und hinterfragt dennoch schonungslos den Lebensstil im Reich des Überflusses.

Taste The Waste (Deutschland 2011), Buch und Regie: Valentin Thurn, Kamera: Roland Breitschuh, 88 Minuten.
Mehr Infos zum Film: www.wfilm.de
Kinostart: 08. September

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