Kultur

Kampf um Bürgerdaten – in schwarz-weiß

Kann europäische Politik spannend sein wie ein Thriller? Sie kann! Der Schweizer Regisseur David Bernet hat aus den Auseinandersetzungen rund um einen neuen europäischen Datenschutz einen packenden Dokumentarfilm gemacht.
von Kai Doering · 12. November 2015
Jan-Philipp Albrecht
Jan-Philipp Albrecht

Es gibt Witze, die bleiben beim Erzählen im Hals stecken. Ralf Bendrath kennt so einen. Es geht darin um zwei Männer, die in einer Bar eine hübsche Frau sehen. „Ich kann Dir mehr über sie erzählen“, sagt der eine und berichtet über ihre Vorlieben beim Essen, ihre Lieblingsblumen und was sie beruflich macht. Sogar dass die Frau sich kürzlich von ihrem Partner getrennt hat, kann er sagen. „Interessant“, meint der andere. „Weißt Du auch ihren Namen?“ „Den kann ich Dir nicht sagen“, meint der erste entrüstet. „Das sind doch personenbezogene Daten.“

Regisseur David Bernet lässt Bendrath den Witz ziemlich am Anfang seines Films „Democracy – Im Rausch der Daten“ erzählen. Bernet zeichnet darin in Schwarz-Weiß-Bildern die Auseinandersetzungen beim Entstehen der Datenschutzgrundverordnung nach, mit der die EU den Datenschutz im digitalen Zeitalter europaweit regeln möchte.

Ein Abgeordneter zwischen Euphorie und Ernüchterung

Bernets Hauptfigur ist der junge Europaabgeordnete Jan-Philipp Albrecht. Er hat als „Berichterstatter“ des Parlaments die Aufgabe, einen Entwurf für eine Datenschutzgrundverordnung zu erarbeiten, der im Europaparlament eine Mehrheit finden soll. Unterstützt wird Albrecht u.a. von seinem Mitarbeiter Ralf Bendrath, dem Mann mit dem Witz.

In 100 spannenden Minuten lässt Bernet den Zuschauer teilhaben an „Shadowmeetings“, Lobbyistenrunden und Ausschusssitzungen. Er ist dabei, wenn Jan-Philipp Albrecht euphorisch an seinem Verordnungsentwurf arbeitet und kleinste Änderungen mit Experten diskutiert. Er zeigt aber auch die Ernüchterung als Albrecht ein dicker Papierstapel mit beinahe 4000 Änderungsanträgen der anderen Fraktionen überreicht wird. „Das schaffen wir nie“, sagt Albrecht zerknirscht.

Dabei ist es der gerade mal 30-jährige Grünen-Politiker, vor dem die Lobbyisten Angst haben. Er sei enttäuscht gewesen als er gehört habe, dass Albrecht Berichterstatter für die Datenschutzgrundverordnung wird, gibt einer von ihnen unumwunden vor der Kamera zu. Denn: „Es war klar, dass er wegen seiner Parteizugehörigkeit und seines Alters auf den Datenschutz besonderen Wert legen wird.“

Ungeschönter Einblick in die Welt der Brüsseler Politik

Es sind vor allem diese ehrlichen Aussagen von Politikern, Lobbyisten, NGO- und Wirtschaftsvertretern, die Bernets Film besonders sehenswert machen. Man gewinnt den Eindruck, sie hätten gar nicht bemerkt, dass sie gefilmt werden. So ist ein Dokumentarfilm entstanden, der einen ehrlichen und ungeschönten Einblick in die Brüsseler Politikabläufe gewährt. Dass Bernet hierfür das Thema Datenschutz gewählt hat, verleiht dem Ganzen einen besonderen Reiz.

Dabei ist der Film spannend erzählt wie ein Thriller. Nach einem vielversprechenden Auftakt erlahmt der Prozess, in dem die EU-Parlamentarier ihren Entwurf für die neue Datenschutzverordnung erarbeiten sollen. Die Abgeordneten ergehen sich in Nebensächlichkeiten, die Lobbyisten scheinen mit ihrer Verschleppungstaktik Erfolg zu haben. Doch dann betritt ein Mann die Bühne, der den Diskussionen einen neuen Impuls gibt: Edward Snowden.

„Weckruf“ von Edward Snowden

Die Enthüllungen des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters seien ein „Weckruf“ für EU-Parlamentarier und -Kommission gewesen, sagt die damals zuständige Kommissarin Viviane Reding im Film. Und tatsächlich: Mit einem Mal nimmt die Diskussion neue Fahrt auf. Der Parlamentsentwurf wird schließlich Ende 2013 im zuständigen Innen- und Justizausschuss mit überwältigender Mehrheit angenommen und schließlich auch im Frühjahr 2014 vom Europäischen Parlament verabschiedet.

Und nachdem sich im Juni dieses Jahres (beim Drehschluss des Films stand das noch nicht fest) auch die Innen- und Justizminister der EU-Staaten, der „Europäische Rat“, auf ihren Entwurf verständigt haben, kann nun der so genannte Trilog zwischen Rat, EU-Parlament und -Kommission über einen neuen europaweiten Datenschutz beginnen.

Democracy – im Rausch der Daten, Dokumentarfilm von David Bernet, Deutschland 2015, ab 12. November im Kino

Schlagwörter
Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare