Kultur

Kafkas Der Bau: Männer, die mit Häusern reden

Ein Wohnturm als Rückzugsort vor den Wirren dieser Zeit: Das Drama „Kafkas Der Bau“ erzählt in überwältigenden Bildern vom vergeblichen Streben eines Spießers.
von ohne Autor · 10. Juli 2015
Prahl Kafka Der Bau
Prahl Kafka Der Bau

Der englische Begriff "Cocooning" stand ursprünglich für die Verpuppung von Insekten auf dem Weg von der Larve hin zum ausgereiften Tier. Heute verstehen Trendforscher darunter den zunehmenden Hang des Menschen im wohlhabenden Teil der Welt, sich in den eigenen vier Wänden und in einer überschaubaren privaten Existenz einzuigeln. Möge die immer chaotischer und unheilvoller anmutende Welt bitte draußen bleiben.

Von Transformation und Abschottung erzählt auch Jochen Alexander Freydanks erster Kinofilm "Kafkas Der Bau". In der gleichnamigen und unvollendeten Erzählung des Prager Dichters geht es um ein Tier, das sich sein kleines Reich schafft und nach totaler Sicherheit und Kontrolle strebt – und genau daran scheitert. Freydank überträgt Kafkas Geschichte aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts in die Welt der Menschen. Warum auch nicht, schließlich schrieb Franz Kafka diese, wie auch andere Erzählungen mit tierähnlichen Wesen, um uns den Spiegel vorzuhalten. Doch das ist nur das augenscheinlichste Beispiel dafür, dass es sich bei diesem Drama um keine Literaturverfilmung handelt, die von einer besondere Nähe zum Original lebt.

Vielmehr hat Freydank den Text lediglich als Grundlage genommen, um ein Statement über die zunehmende Sicherheitsparanoia im Zeichen von Terror, Flüchtlingsströmen und sozialer Ab- und Ausgrenzung abzuliefern. „Wir fahren in SUVs durch die Gegend und würden am liebsten um ganz Europa herum eine Mauer bauen“, sagt er.

Behüteter Wohlstand

Dass absolute Sicherheit unmöglich ist und am Ende die Freiheit kostet, muss auch der Protagonist Franz (Axel Prahl) feststellen. Mit Frau und Kindern zieht der spießige Angestellte in einen gigantischen Hochhausklotz. Das einschüchternde und bewachte Gebäude soll den Wohlstand des Endvierzigers behüten und jegliche unliebsamen Gestalten fern halten. Versinnbildlicht wird Franzens Sichtweise durch das leuchtend warme Rot der fensterarmen Fassade, die sich von der in mattem Grau gehaltenen Umgebung abhebt.

Doch die Zufriedenheit ist nicht von langer Dauer. Anstatt sein Familienleben in der Eigentumswohnung im Bau zu genießen, fürchtet Franz zunehmend um Status und Sicherheit. Die Wohnungstür lässt er mit einer Unzahl von Schlössern überziehen und er filmt mit seiner Videokamera, wo und wann er nur kann. Den wenigen Menschen, die ihm in den endlosen Gängen über den Weg laufen, begegnet er zunehmend misstrauisch.

Filmische Würdigung von Kafkas Sprache

 „Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen“, spricht Franz zu Beginn in die Kamera. Jeder ahnt, dass die Idylle zum Scheitern verurteilt ist. Am Ende verliert er neben Frau und Kindern auch alles andere, was ihm bislang Halt gegeben hat. Zudem hat es Franz mit einem schwer zu ortenden Eindringling zu tun. Und auch sonst erobert die ungeliebte Außenwelt immer mehr sein Reich.

Man mag darüber streiten, inwiefern der Film der literarischen Vorlage gerecht wird. Freydank, der für seinen Kurzfilm „Spielzeugland“ vor sechs Jahren einen Oskar bekommen hat, arbeitete zehn Jahre lang an dem Drehbuch und baute eine Reihe von Originalzitaten ein, um Kafkas Sprache zu würdigen. Die Texthäppchen dienen Franz als innerer Monolog und Selbstgespräch.

 

Hauptdarsteller Prahl meistert es in der ersten Hälfte tapfer, die Passagen zu rezitieren und mit seinem gewöhnlichen Sprech zu kombinieren, ohne dass es allzu aufgesetzt wirkt. Mit dem Fortschreiten von Franzens Krise nuschelt er die Kafka-Schnipsel allerdings eher dahin. Weil die textliche Begleitung ins Unverständliche abgleitet, leidet zum Schluss auch die Nachvollziehbarkeit der Interaktion von Franz mit seiner Welt – also vor allem mit dem Bau, dem Co-Hauptdarsteller. Mit ihm pflegt der Wohnungsbesitzer ein liebevolles Zwiegespräch.

Visuelle Kraft, darstellerischer Klasse

Womit sich die Frage ergibt, ob die sinnierenden Zitate in diesem Stadium des Dramas überhaupt noch angebracht beziehungsweise angemessen sind. Seiner Figur verleiht Prahl nicht nur, aber auch durch sein körperbetontes Spiel, tatsächlich etwas Dachsartiges, offenbart aber auch andere Facetten, die nicht nur die Transformation von Franz illustrieren, sondern auch seine darstellerische Klasse unterstreichen.

Beeindruckend ist die visuelle Kraft dieser Produktion, die Freydank als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor  mit schmalem Budget gestemmt hat. In einer winterlich tristen Szenerie schuf er eine postapokalyptische Fantasiewelt aus Hochhäusern und Schnellstraßen. Irgendwo mittendrin ragt der monumentale rote Bau hervor, an dem die Kamera immer wieder hinauf- und hinab schnellt. Wer denkt dabei nicht an Sarumans Turm in „Der Herr der Ringe“? Nicht minder beeindruckend sind die Innenaufnahmen des Klotzes, der mehr an einen Hochsicherheitstrakt als an ein von Mehrfamilienhaus erinnert; nicht zu reden von dessen finsteren, aber quicklebendigem Untergrund. Mit Franz schlurfen wir durch ein in seiner Hässlichkeit schon fast anmutiges Labyrinth, das immer mehr deutlicher zum Spiegelbild seines Bewusstseins wird.

Info: Kafkas Der Bau (D 2014), ein Film von Jochen Alexander Freydank, mit Axel Prahl, Kristina Klebe, Josef Hader, Devid Striesow u.a., 110 Minuten
Ab sofort im Kino

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