Kultur

„Junges Licht“: Bedrohliche Stimmung im Ruhrgebiet

Heiße Tage im Ruhrgebiet von einst: „Junges Licht“ erzählt jenseits der Klischees von den Mühen eines Malocher-Sohns, einen eigenen Weg ins Leben zu finden.
von ohne Autor · 13. Mai 2016

Der Coming-of-Age-Film führt tief hinein in die Zeit des westdeutschen Wirtschaftswunders. Anfang der 60er-Jahre lebt der zwölfjährige Julian Collien mit Vater, Mutter und Schwester in einem Miethaus irgendwo im Pott. Es ist eine Welt, in der fleißig gearbeitet, aber wenig gesprochen wird. Typisch für eine Gesellschaft, die sich erst nach und nach den Schatten der jüngsten Vergangenheit stellt. Der Film nimmt diesen Faden an einigen Stellen auf.

Facharbeiter oder intellektueller Sonderling?

Ansonsten ist „Junges Licht“ aber ziemlich gegenwärtig. Es ist Julians mit vielen Eindrücken beladene Gegenwart. In einem heißen Sommer versucht er, seinem Leben eine (neue) Richtung zu geben und mit einem Batzen von Problemen kämpft. Glaubt er wirklich an eine der typischen Facharbeiter-Karrieren oder befindet er sich längst auf den Pfaden des intellektuellen Sonderlings? Und da wären noch die Gefühle: Die lolitahafte Nachbarstochter verdreht nicht nur ihm den Kopf. Die Anerkennung „unter Männern“, die er sich von der örtlichen Jugendbande erhofft, muss härter erkauft werden, als er dachte.

Geistige wie emotionale Nähe sind Dinge, die Julian in seiner Familie nur bedingt bekommt. Bei Tisch und auch sonst wird meist geschwiegen, selten gibt es ein freundliches Wort, Begrüßungen und Abschiede kommen häufig ohne Worte aus. Dabei hätte Julian jetzt, beim schwierigen Übergang vom Kind zum Jugendlichen, nichts nötiger als einen, der ihm zuhört oder in den Arm nimmt. Einen erfüllenden Kontakt aufzubauen, erscheint ihm, der so viele Träume hat, unmöglich. So ist für ihn der Weg ins emotionale Chaos vorprogrammiert.

Die Ruhrpott-Experten

Wenn zwei Ruhrpott-Experten wie Adolf Winkelmann und Ralf Rothmann zueinander finden, verwundert es nicht, wenn dabei eine Arbeit mit einer ganz eigenen Tonalität herauskommt. Seit den 1970er-Jahren hat Winkelmann seiner Heimat in, häufig preisgekrönten, Filmen wie „Die Abfahrer“ ein Denkmal gesetzt. Rothmann verarbeitet seine Jugend im Ruhrgebiet immer wieder literarisch, unter anderem in dem Roman „Junges Licht“, der als Vorlage für das Drehbuch diente.

Der Film zeigt den Alltag zwischen Zeche, Schule und Mietshaus weitgehend ohne Klischees. Natürlich kommt die Bebilderung jener versunkenen Welt nicht ohne mit glühendem Koks beladene Loren oder schnaufende Dampfloks aus. Kameramann David Slama hat für die Szenerie aber eine ganz eigene Bildsprache entwickelt, die derlei Relikte eher pointiert betrachtet, anstatt sie zu ästhetisieren. Unabhängig davon wirken einige Szenen, etwa im Bergwerk über Tage, angesichts des allzu blankgeputzten und aufgeräumten Ambientes arg museal. Als wären die Schauspieler Teil eines Gemäldes.

Bedrohliche Stimmung im Ruhrgebiet

Durchweg herrscht eine bedrohliche wie erwartungsvolle Stimmung. Wie sich die verschiedenen Spannungen entladen, sorgt immer wieder für Überraschungen. Mit seinem gewohnt körperbetonten Spiel und vergleichsweise wenig Text verleiht Charly Hübner dem Bergmann und Familienvater Walter Collien interessante Nuancen, die weit über Malocher-Klischees hinaus gehen. Ob er nach Stullen für die nächste Schicht verlangt oder sich von Julian die Schuhe zubinden lässt: Dieser Mann lebt mit jeder Pore den Patron jener Zeit. Und muss in dieser Rolle wiederholt Rückschläge einstecken. Seine Balkon-Gespräche mit Julian (ebenfalls beeindruckend dargestellt durch den Film-Debütanten Oskar Brose) zählen zu den berührendsten Stellen. Dem gegenüber ist seine Frau Liesl (Lina Beckmann) keinesfalls das Paradebeispiel einer – nach damaligen Maßstäben – fürsorglichen oder gar liebevollen Mutter. Durch eine einsame Entscheidung bringt sie die Familie vorübergehend aus der Spur. Noch so ein Beispiel dafür, dass für einen Heranwachsenden oftmals nichts so ist, wie es scheint. Wo und wann auch immer.

Info: Junges Licht (Deutschland 2016), Regie: Adolf Winkelmann, Drehbuch: Nils Beckmann, Toll Beckmann und Adolf Winkelmann, nach dem Roman von Ralf Rothmann, mit Oskar Brose, Charly Hübner, Lina Beckmann, Peter Lohmeyer u.a., 122 Minuten. Ab sofort im Kino.

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