...und ich bin auch schon fast
Ein Westmensch wie du geworden.
Ich finde das Leben im Westen bon
Und plapper schon munter im Westjargon
- und dennoch gibt es so Extras hier
- Die viel zu viel Seelengeld kosten...
"Als ich 1976 in den Westen kam, begann alles mit dem Kölner Konzert am 13. November, und das war zufällig der Geburtstag meines Vaters. Zwei Tage später wurde ich Vierzig. An diesem viel zu
schönen Tag ging ich mit Freunden am Rhein bei dem Städtchen Zons spazieren und war froh: Die zwölf Jahre Schweigen hatten mich nicht stumm gemacht. Da sang ich meinen Freunden eines meiner
allerersten Lieder vor, eins, das ich im großen Konzert nicht gesungen hatte und das auch nie auf `ne Platte kam:
Der Rhein fließt unter den Brücken hin
Das Wasser voll Öl und voll Ruß
Die Loreley stürzt in den Rhein
Damit sie nicht singen muss
ach, mit dem Strom fahrn die Schiffe so schnell
auf dem Rhein dahin, dahin
ach, gegen den Strom geht es langsam zurück
- ich weiß nicht, wie traurig ich bin
Von meiner Ausbürgerung erfuhr ich am nächsten Morgen in den Nachrichten, grad im Autoradio, als ich mit 160 Sachen über die Autobahn nach Bochum fuhr, zum nächsten Konzert auf dieser
10-Tage-Tournee, die inzwischen schon zehn Jahre dauert. Wie gut, dachte ich, dass der Fahrer von der IG-Metall jetzt am Steuer sitzt.
Für mein kleines Leben warn diese paar Tage ein Umbruch, kein Zusammenbruch.
'halb hinausgeworfen, halb entflohen' (Brecht)
Meine Jahre hier waren schön schwierig: lebendig. Man muss allerhand umlernen, und das geht nicht flott genug. Das Leben im Osten ist kein gutes Training fürn Westen. Manchem von uns hat es
die Sprache erst hier drüben verschlagen grad weil man nun plötzlich alles sagen darf ..."
Und heute, nach weiteren zwanzig Jahren? Die Sprache hat es ihm nicht verschlagen aber ist er nun auch angekommen hier im Westen? In einem Interview schildert er noch einmal seine Situation
nach der Ausbürgerung: "Ich war ja damals in ein Niemandsland gefallen. Ich kam nicht aus der DDR in den Westen. Ich kam in ein geistiges und politisches Niemandsland. Die rechte, etablierte
Gesellschaft der Bundesrepublik fand mich zum Kotzen. Die Linken waren untereinander auf Leben und Tod zerstritten." Aber: "Der Vorteil der Ausbürgerung, den ich am Anfang gar nicht würdigen
konnte, war übrigens, dass ich kein Westdeutscher wurde, sondern ein Weltenkind. Das ist für einen Dichter kein Schaden." So ist es auch kein Zufall, dass sein jüngster Gedichtband den Titel
"Heimat" trägt. Biermanns Heimaten haben im Lauf der Jahre gewechselt. Sein Vater, ein kommunistischer Arbeiter, wurde als Jude und Widerstandskämpfer in Auschwitz ermordet, folgerichtig ging der
sechzehnjährige Jungkommunist 1953 in die DDR, das vermeintlich bessere Deutschland. Doch die geistige Heimat im Kommunismus ist für ihn unwiederbringlich dahin:
Die heile Heimat Utopie hab ich verloren
Dafür und ganz kaputt die halbe Welt gewonnen
Als Kommunistenketzer ward ich neu geboren
Als Mann erst ist mein Kinderglaube mir zerronnen
Hab manchmal Heimweh noch nach diesem blöden Hoffen
Statt Mensch wär ich viel lieber Marxens Zwergenriese
Die alte Sehnsucht macht mich manchmal noch besoffen
Spür nächtens den Phantomschmerz aus dem Paradiese
In Südfrankreich, in Banyuls sur mer am Fuß der Pyrenäen findet der Weltbürger Biermann einen Ort für seine Suche nach Heimat. Daneben bleibt Norddeutschland für ihn ein weiterhin
existentieller Punkt, wie er in einem Gespräch mit Christoph Forsthoff darlegt: "Heimat kann auch der Geruch der Fleete in Hammerbrook sein, die Gerüche vom Qualm der Schlepper, die mit Kohle
geheizt wurden; die Gerüche von Schlick und Schlamm in den Fleeten, von Ebbe und Flut, die Auswürfe der Fabriken, verfaulter Fisch, Teer: All das sind Heimat-Gerüche." Mit der Hinwendung zu seinen
jüdischen Wurzeln gewinnt der Weltbürger einen weiteren Ort von Heimat für sich: "Israel - ein schiefes Dreieck also zwischen Norddeutschland, Israel und Südfrankreich."
Leben, Liebe, Alter, Vergänglichkeit, Tod sind die Leitmotive - vielfach dialektisch verknüpft in den Gedichten dieses Bandes.
Ich suche Ruhe und finde Streit
Wie süchtig nach lebendig Leben
Zu kurz ist meine lange Zeit
Will alles haben, alles geben
Weil ich ein Freundefresser bin
Hab ich nach Heimat Hunger - immer!
Das ist der Tod, da will ich hin
Ankommen aber nie und nimmer
Auf die Frage nach seinem Lebensmotto antwortet Biermann:
"Bei einem Besuch im Prado habe ich einst die Zeichnung eines alten, gebückten Mannes von Goya gesehen, und unter dieser stand ein Satz,der mich gut kennzeichnet: Aún aprendo - ich lerne
immer noch."
Am 15. November ist Wolf Biermann 70 Jahre alt geworden.
Werner Loewe
Wolf Biermann: Heimat, Hoffmann & Campe, Hamburg 2006, 18 Euro
ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.