Kultur

Jung geblieben – Weltenkind Wolf Biermann wird 70

von Werner Loewe · 15. November 2006
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...und ich bin auch schon fast

Ein Westmensch wie du geworden.

Ich finde das Leben im Westen bon

Und plapper schon munter im Westjargon

- und dennoch gibt es so Extras hier

- Die viel zu viel Seelengeld kosten...


"Als ich 1976 in den Westen kam, begann alles mit dem Kölner Konzert am 13. November, und das war zufällig der Geburtstag meines Vaters. Zwei Tage später wurde ich Vierzig. An diesem viel zu schönen Tag ging ich mit Freunden am Rhein bei dem Städtchen Zons spazieren und war froh: Die zwölf Jahre Schweigen hatten mich nicht stumm gemacht. Da sang ich meinen Freunden eines meiner allerersten Lieder vor, eins, das ich im großen Konzert nicht gesungen hatte und das auch nie auf `ne Platte kam:

Der Rhein fließt unter den Brücken hin

Das Wasser voll Öl und voll Ruß

Die Loreley stürzt in den Rhein

Damit sie nicht singen muss

ach, mit dem Strom fahrn die Schiffe so schnell

auf dem Rhein dahin, dahin

ach, gegen den Strom geht es langsam zurück

- ich weiß nicht, wie traurig ich bin


Von meiner Ausbürgerung erfuhr ich am nächsten Morgen in den Nachrichten, grad im Autoradio, als ich mit 160 Sachen über die Autobahn nach Bochum fuhr, zum nächsten Konzert auf dieser 10-Tage-Tournee, die inzwischen schon zehn Jahre dauert. Wie gut, dachte ich, dass der Fahrer von der IG-Metall jetzt am Steuer sitzt.

Für mein kleines Leben warn diese paar Tage ein Umbruch, kein Zusammenbruch.

'halb hinausgeworfen, halb entflohen' (Brecht)

Meine Jahre hier waren schön schwierig: lebendig. Man muss allerhand umlernen, und das geht nicht flott genug. Das Leben im Osten ist kein gutes Training fürn Westen. Manchem von uns hat es die Sprache erst hier drüben verschlagen grad weil man nun plötzlich alles sagen darf ..."

Und heute, nach weiteren zwanzig Jahren? Die Sprache hat es ihm nicht verschlagen aber ist er nun auch angekommen hier im Westen? In einem Interview schildert er noch einmal seine Situation nach der Ausbürgerung: "Ich war ja damals in ein Niemandsland gefallen. Ich kam nicht aus der DDR in den Westen. Ich kam in ein geistiges und politisches Niemandsland. Die rechte, etablierte Gesellschaft der Bundesrepublik fand mich zum Kotzen. Die Linken waren untereinander auf Leben und Tod zerstritten." Aber: "Der Vorteil der Ausbürgerung, den ich am Anfang gar nicht würdigen konnte, war übrigens, dass ich kein Westdeutscher wurde, sondern ein Weltenkind. Das ist für einen Dichter kein Schaden." So ist es auch kein Zufall, dass sein jüngster Gedichtband den Titel "Heimat" trägt. Biermanns Heimaten haben im Lauf der Jahre gewechselt. Sein Vater, ein kommunistischer Arbeiter, wurde als Jude und Widerstandskämpfer in Auschwitz ermordet, folgerichtig ging der sechzehnjährige Jungkommunist 1953 in die DDR, das vermeintlich bessere Deutschland. Doch die geistige Heimat im Kommunismus ist für ihn unwiederbringlich dahin:

Die heile Heimat Utopie hab ich verloren

Dafür und ganz kaputt die halbe Welt gewonnen

Als Kommunistenketzer ward ich neu geboren

Als Mann erst ist mein Kinderglaube mir zerronnen

Hab manchmal Heimweh noch nach diesem blöden Hoffen

Statt Mensch wär ich viel lieber Marxens Zwergenriese

Die alte Sehnsucht macht mich manchmal noch besoffen

Spür nächtens den Phantomschmerz aus dem Paradiese


In Südfrankreich, in Banyuls sur mer am Fuß der Pyrenäen findet der Weltbürger Biermann einen Ort für seine Suche nach Heimat. Daneben bleibt Norddeutschland für ihn ein weiterhin existentieller Punkt, wie er in einem Gespräch mit Christoph Forsthoff darlegt: "Heimat kann auch der Geruch der Fleete in Hammerbrook sein, die Gerüche vom Qualm der Schlepper, die mit Kohle geheizt wurden; die Gerüche von Schlick und Schlamm in den Fleeten, von Ebbe und Flut, die Auswürfe der Fabriken, verfaulter Fisch, Teer: All das sind Heimat-Gerüche." Mit der Hinwendung zu seinen jüdischen Wurzeln gewinnt der Weltbürger einen weiteren Ort von Heimat für sich: "Israel - ein schiefes Dreieck also zwischen Norddeutschland, Israel und Südfrankreich."

Leben, Liebe, Alter, Vergänglichkeit, Tod sind die Leitmotive - vielfach dialektisch verknüpft in den Gedichten dieses Bandes.

Ich suche Ruhe und finde Streit

Wie süchtig nach lebendig Leben

Zu kurz ist meine lange Zeit

Will alles haben, alles geben

Weil ich ein Freundefresser bin

Hab ich nach Heimat Hunger - immer!

Das ist der Tod, da will ich hin

Ankommen aber nie und nimmer


Auf die Frage nach seinem Lebensmotto antwortet Biermann:

"Bei einem Besuch im Prado habe ich einst die Zeichnung eines alten, gebückten Mannes von Goya gesehen, und unter dieser stand ein Satz,der mich gut kennzeichnet: Aún aprendo - ich lerne immer noch."

Am 15. November ist Wolf Biermann 70 Jahre alt geworden.

Werner Loewe



Wolf Biermann: Heimat, Hoffmann & Campe, Hamburg 2006, 18 Euro

Autor*in
Werner Loewe

ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.

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